Auf und davon
sehen, nur
hier und da ein paar Schafe mit ihren Lämmern. Einige hoben den Kopf und
schauten Julia und Nathan gelangweilt an, doch die meisten kümmerten sich nicht
um die beiden, sondern fraßen weiter.
Die Einsamkeit war zwar erschreckend — soweit
das Auge reichte runde Hügel und dazwischen eingebettet die Täler und darin
niemand außer ihnen. Aber sie war auch beruhigend, weil keiner da war, der sie
ausfragen oder auch nur argwöhnisch anschauen konnte. Sie fühlten sich sicher.
Sie kamen zu einer Gabelung und nahmen
die Straße nach links, nicht weil „Exford“ ihnen irgend etwas gesagt hätte,
sondern weil es in dieser Richtung weiter ins Moor hineinzugehen schien und
weiter von den Menschen weg. Sie hielten Ausschau nach einem Fluß oder Bach,
vorerst allerdings vergebens. Aber Nathan war sicher, daß sie bald zu einem
Fluß kommen mußten. Er wußte, daß es zumindest einen Fluß gab, den Bagworthy,
dunkel und bedrohlich und mit großen Felsbrocken im Flußbett. An einem Tag wie
diesem konnte jedoch auch der Bagworthy unmöglich dunkel sein. An einem Tag wie
diesem mußte er hell sein, glitzernd und mit kleinen gelben Lichtpunkten darin
von der Sonne.
Als sie müde wurden, setzten sie sich
ins Heidekraut und aßen Kartoffelchips, Brötchen und kleine Käsecräcker. Für
jeden war noch eine Dose Cola da, und Julia hoffte, daß es nicht mehr allzulang
dauern würde, bis sie zu einem Bach kamen, weil sie sonst nichts mehr zu
trinken hatten. Außerdem war sie sicher, daß sie an diesem Tag nicht mehr
allzuweit würde fahren können.
Sie stiegen wieder auf die Räder und
fuhren weiter. Inzwischen waren sie nicht mehr allein im Moor. Ständig
überholten sie Autos voller Urlauber, und aus einem Wagenfenster hängte sich
ein Junge und winkte ihnen zu. Es war nur eine freundliche Geste, doch Nathan
mochte es nicht, wenn sie Aufmerksamkeit erregten. Er hatte sich das Moor
völlig einsam vorgestellt, ein wirklich gutes Versteck. Bei der nächsten
Möglichkeit bogen sie rechts ab in einen Weg, der für Autos schlecht zu
befahren war.
Und immer noch kein Fluß in Sicht.
Sie begannen, sich Sorgen zu machen.
Nicht laut, jeder im stillen für sich. Sie fragten sich, was aus ihnen werden
sollte, wenn sie keinen geeigneten Platz zum Zelten fanden. Doch sie waren
nicht umsonst so weit gefahren. Natürlich war es Julia, die ihn zuerst
entdeckte. Für Nathans Augen war er zu weit weg, und selbst Julia hätte ihn
fast übersehen, weil er zwischen zwei Hügeln verborgen lag.
„Da!“ rief sie, bremste und sprang vom
Rad.
„Wo?“ Nathan beschattete die Augen mit
einer Hand.
Es war nur ein silbernes Aufleuchten
weit unten zwischen Heidekraut und Farn und kleinen Baumgruppen.
„Da unten! Meinst du, wir kriegen die
Räder da runter?“
Es war nicht einfach, die Räder über
den unebenen Boden zu zerren, doch jetzt, wo sie ihr Ziel vor Augen hatten, gab
es ja keine Eile mehr. Unten im Tal tanzte der glitzernde Bach über saubere
Kiesel.
„Kann man uns von der Straße aus sehen?“
fragte Nathan ängstlich.
„Hier können wir die Zelte ohnehin
nicht aufstellen, hier ist es viel zu steil. Wir müssen weiter rein.“
Sie folgten dem Bach auf der Suche nach
einer ebenen Stelle, wo sie die Zelte auf stellen konnten.
„Wenn es ein bißchen schräg ist, macht
mir das nichts aus“, sagte Nathan. Er war plötzlich sehr müde. An diesem Tag
hatte er schließlich schwerer gearbeitet als Julia.
„Wenn wir schon dabei sind, können wir
auch nach einem wirklich guten Platz suchen“, meinte Julia, die aus irgendeiner
Quelle neue Energie geschöpft zu haben schien. „Komm, alter Faulpelz.“
Wer nannte hier wen einen Faulpelz? Für
was hielt sie sich eigentlich — nachdem sie sich von ihm das Fahrrad den halben
Porlock-Berg hatte hinaufschieben lassen? Nathan lag schon eine böse Bemerkung
auf der Zunge, aber er hielt sich zurück. Jetzt strengte sich Julia ja wieder
mächtig an, und er wußte, ohne daß darüber gesprochen werden mußte, daß sie
sich ums Essen und um die Wäsche kümmern würde, sobald die Zelte standen. Sie
würde darauf schauen, daß es in den Zelten immer sauber war und kein Abfall
herumlag. Um das alles brauchte er sich nicht zu kümmern. Er konnte bis in alle
Ewigkeit in den Tag hineinträumen — oder zumindest soweit er die Zukunft
überschauen konnte. Die Aussicht war nicht schlecht. „Da!“ rief Julia plötzlich
triumphierend. „Unser Platz!“ Nathan konnte ihn noch nicht so richtig
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