Auf und davon
Gewicht
der Räder wieder den Berg hinunter. Julia und Nathan zogen die Bremsen an, und
das half ein wenig, doch genug war es nicht.
Schließlich kamen sie zum
allerschlimmsten Stück, einer scharfen Linkskurve, an der die Straße, wie es
schien, fast senkrecht anstieg. Und da versagten Julia die Kräfte.
„Nathan — ich kann nicht mehr.“
„Doch, du kannst“, sagte Nathan, aber
als er sich umdrehte und sie ansah, wußte er, daß sie es ernst meinte. Mit
kalkweißem Gesicht hing sie keuchend über ihrem Fahrrad. Noch konnte sie es
halten, doch ihre Füße begannen schon gefährlich nach rückwärts zu rutschen. „Hilf
mir!“
„Halt aus!“
Im nächsten Augenblick würde Julia das
Rad nicht mehr halten können, es würde rückwärts den Berg hinunterrutschen,
Julia über den Haufen werfen und sich bei der ganzen Geschichte wahrscheinlich
so verbiegen, daß es nicht mehr zu reparieren sein würde. Nathan ließ sein
eigenes Fahrrad in eine Hecke fallen und drückte es noch zwischen zwei Wurzeln,
um zu verhindern, daß es bergab rutschte. Mit fast derselben Bewegung packte er
Julias Lenkstange und bog sie scharf nach links. Julia ließ los und sackte
zusammen. Zitternd und schluchzend saß sie auf dem Boden. Nathan sicherte ihr
Rad, wie er seines gesichert hatte, und versuchte dann, sie zum Aufstehen zu
bewegen.
Aber Julia hatte keine Kraft mehr und
war für vernünftige Argumente nicht mehr zugänglich. Sie sah sich schon den
steilen Berg hinunterkullern, das Fahrrad einmal über und einmal unter sich.
Sie spürte schon, wie ihr jeder einzelne Knochen im Leib gebrochen wurde.
Schaudernd stieß sie Nathan weg. „Laß mich in Ruhe!“
In diesem Augenblick kam ein Wagen. Er
fuhr auf der anderen Straßenseite im ersten Gang bergab, und die Frau am Steuer
fragte durchs Seitenfenster: „Alles in Ordnung?“
„Ja, alles okay“, rief Nathan zurück.
„Ist sie krank? Braucht sie Hilfe?“
„Nein, nein, ihr geht es gut.“
„Bist du sicher?“
Wie oft wollte die dumme Pute es noch
hören? „Wir sind okay, wir ruhen uns nur aus.“ Nathan zwang sich zu einem
Lächeln und winkte, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
Von allen Seiten lauerte Gefahr, von
dem Berg, vom Verkehr, von den Leuten, die sie in einer Situation sahen, in der
sie ganz besonders unsichtbar sein wollten. Und zu allem Übel mußte Julia jetzt
auch noch schwierig werden.
„Komm, Jule.“ Nathan verlor die Geduld.
„Los, komm, du bist nicht verletzt. Wir haben es fast geschafft.“ Er wußte
nicht, ob sie es tatsächlich bald geschafft hatten, aber es zu sagen, konnte
nicht schaden. „Komm, Jule, wir ruhen uns ein bißchen aus. Aber an der Hecke.
Du kannst doch nicht mitten auf der Straße sitzenbleiben. Das nächste Auto hält
sonst vielleicht ganz an, und dann stellen sie Fragen.“
Doch Julia hörte gar nicht auf ihn. Sie
saß da wie ein Häufchen Elend und weinte.
„Julia!“
„Wenn ich bloß nie diesen Berg
raufgekommen wäre“, schluchzte sie.
„Komm, steh auf.“ Nathan griff nach Julias
Arm, und diesmal ließ sie sich von ihm auf die Beine ziehen. Sie lehnten an der
Straßenböschung, und Nathan suchte angestrengt nach einer Lösung für ihr
Problem. Das nächste Stück war, soweit er es überblicken konnte, nicht weniger
steil als vorher. Julia war zu schwach, um ihr Fahrrad auch nur einen Meter
weiter zu schieben. Selbst nach einer längeren Rast würde sie es
höchstwahrscheinlich nicht können. Er zweifelte, ob er es konnte. Plötzlich kam
ihm eine Idee. „Jetzt weiß ich’s! Ich weiß, wie wir es schaffen können!“ Er
griff nach dem Lenker seines Fahrrads, um ihr zu zeigen, was er meinte. „Schau
her — wir schieben es im Zickzack, von einer Seite zur andern. Siehst du? So.
Mal nach rechts und mal nach links.“
So könnten sie es schaffen, auch wenn es
immer noch sehr anstrengend wäre.
„Komm, Jule“, sagte Nathan, „versuch’s
mal.“
„Nein.“
„Wenn du dich ausgeruht hast.“
„Nein“, sagte Julia störrisch, „ich geh
nicht weiter.“
„Was willst du denn dann machen?“
„Weiß nicht.“
Sie hatte ihren Rappel.
Wie in ihrem Zimmer bei Mrs. Parsons in
Brighton. Unmöglich, sie zu etwas zu bewegen.
„Okay“, sagte Nathan, „ich schieb
meines bis rauf, dann komm ich zurück und hole deines. Du brauchst einfach nur
nebenher laufen. Das kannst du doch, oder?“
„Laß mich nicht allein hier“, jammerte
Julia in plötzlicher Panik.
Nathan blieb hart. „Ich gehe.“
Was
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