Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
zur Wahl?“
Solche Fragen sollte er besser nicht stellen.
James nickte. „Manchmal kommen Männer, die sie holen wollen.“
Fast wäre Nick der Mund offen stehen geblieben. „Sie holen wollen?“
James nickte erneut. „Weil sie sie gewonnen haben.“
„Gewonnen? Du meinst, sie haben ihr Herz erobert?“
Das wollte ihm gar nicht gefallen.
Der Junge schüttelte den Kopf. „Nein, sie haben sie beim Spiel gewonnen.“
Wie bitte ? Nick musste sich verhört haben. „Wer hat denn da um sie gespielt?“
„Unser Vater“, meinte James achselzuckend.
Wütend biss Nick die Zähne zusammen. Allein die Vorstellung, dass der verstorbene Earl of Reddich seine einzige Tochter, dass er Isabel verspielt hatte … Ihm fehlten die Worte. Am liebsten hätte Nick auf etwas eingedroschen, um seinem Zorn Luft zu machen. Er ballte die Hände zu Fäusten und malte sich aus, welche Genugtuung es wäre, den aufgeblasenen Aristokraten, die sich anmaßten, eine Frau im Spiel gewinnen zu wollen, einen saftigen Hieb in die eitle Visage zu verpassen. Ebenso dem werten Verblichenen, der überhaupt erst auf die ungeheuerliche Idee gekommen war.
Er wollte noch mehr fragen, um den schieren Wahnsinn besser zu verstehen, in dem Isabel und James aufgewachsen waren, doch er ließ es sein und versuchte vorerst nur, seinen Zorn zu mäßigen. Es stand ihm nicht zu, solche Fragen zu stellen. Zumindest nicht in diesem Moment.
Jetzt wollte er sich erst mal zu Tisch begeben.
Und dann würde er Isabel das Tanzen beibringen.
Isabel hatte gerade nachsehen wollen, wo Nick und James blieben, als sie die beiden auch schon herunterkommen hörte. Sowie sie Nicks tiefe Stimme vernahm, begann ihr Herz schneller zu schlagen. Zwar konnte sie nicht verstehen, was er sagte, aber allein der Klang seiner Stimme genügte.
Nervös strich sie ihre Röcke glatt. Es war ewig her, dass sie Anlass gehabt hätte, ein Abendkleid zu tragen; und das, welches sie aus den Tiefen ihres Schranks geholt und am Nachmittag noch rasch ausgelüftet hatte, war schon ziemlich aus der Mode. Die Damen, mit denen er Umgang pflegte, waren gewiss immer au courant ; schöne, elegante Frauen, die stets die Contenance wahrten und nicht im Traum auf die Idee kämen, sich in etwas sehen zu lassen, das älter war als einen Monat, geschweige denn etliche Jahre auf dem Buckel hatte.
Sie zuckte zusammen, als sie Nick und James draußen vor dem Speisezimmer lachen hörte. Warum hatte sie seiner albernen Bitte nachgegeben? Wie dumm sie sich auf einmal vorkam.
Und dann kam er herein.
Ohne Krawatte.
Sein Hemdkragen stand offen, ließ warme, sonnengebräunte Haut sehen. Es war das Erste, was sie bemerkte, und es dauerte ein paar Sekunden, ehe sie sich von ihrem Schreck erholte.
Als sie ihren Blick hob, stellte sie fest, dass er sie nicht minder aufmerksam musterte. Ungeniert betrachtete er ihr Kleid, vor allem über die obere Partie, verharrte kurz auf ihrem Dekolleté, ehe er ihren Blick erwiderte. Er sah sie mit einer Bewunderung an, die ihr die Röte in die Wangen trieb, sodass sie sich rasch ihrem Bruder zuwandte.
Doch was musste sie sehen? Auch er war völlig unpassend gekleidet bei Tisch erschienen: kurze Hosen, ein schmutziges Leinenhemd und dazu eine kunstvoll gebundene – wenngleich hoffnungslos zerknitterte – Krawatte. Nicks Krawatte . Offenbar hatte er ihrem Bruder gezeigt, wie man eine Krawatte band.
Ihr wurde ganz warm ums Herz. „Was für eine schicke Krawatte!“, sagte sie und lächelte ihren Bruder an, dessen schmale Jungenbrust bei ihrem Lob anschwoll. Dann sah sie wieder Nick an. „Danke.“
Er machte es ihr schwer, ihn nicht zu mögen.
Als Rock Nicks Aufmachung sah, lachte er schallend. „Du scheinst etwas vergessen zu haben, St. John.“
Nick grinste. „Ich hoffe, Sie verzeihen meinen wunderlichen Aufzug, Lady Isabel“, sagte er, trat vor und hob ihre Hand an seine Lippen. Seine Berührung brannte sich durch ihren Handschuh auf ihre Haut. „Sie müssen wissen, dass ich einen sehr gelehrigen Schüler in Krawattenkunde gefunden habe.“
Auf einmal sah sie die beiden vor sich, wie sie mit vereinten Kräften die Krawatte gebunden hatten – eine herrliche Vorstellung. Endlich ein Mann, der James mit den Tücken und Tugenden des Mannseins vertraut machen konnte! Der ihr helfen könnte, einen guten Earl aus ihm zu machen. Gemeinsam mit ihm könnte sie sich dieser Herausforderung stellen.
Gemeinsam.
Welch ein schönes Wort.
Lange sah sie ihn an, ganz
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