Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
und beobachtete den Jungen im Spiegel, während er nach einem frisch gestärkten Krawattentuch griff. „Kann ich etwas für dich tun?“
James schüttelte den Kopf und starrte auf Nicks Hände, die gerade dabei waren, aus dem schlichten Linnen eine kunstvoll gebundene Krawatte zu zaubern. „Woher wissen Sie, wie das geht?“
Nick hielt inne. „Weil ich es vor langer, langer Zeit gelernt habe.“
Fasziniert kam James näher. „Aber wer hat es Ihnen beigebracht?“
Da musste Nick kurz nachdenken. „Vermutlich mein Kammerdiener.“
„Oh“, machte James und grübelte eine Weile. „Bestimmt sollte ich das lernen, bevor ich in die Schule gehe.“
Nick drehte sich um. „Soll ich es dir beibringen?“
Die Augen des Jungen strahlten. „Würden Sie das wirklich tun?“
„Aber ja.“ Nick zog sich das Linnen vom Hals und legte es James um. Dann drehte er den Jungen zum Spiegel und zeigte ihm die Handgriffe, bis der Knoten annähernd so aussah wie der, welchen Nick sich zuvor gebunden hatte.
James beugte sich vor und betrachtete sein Kunstwerk von allen Seiten, derweil Nick den Rest seiner Garderobe anlegte. „Das ist richtig gut geworden“, fand James.
Den Jungen so stolz zu sehen, weckte Erinnerungen. Zwar wusste er nicht mehr, wann und wo er gelernt hatte, eine Krawatte zu binden, aber er wusste noch sehr genau, dass auch er sich nach Anerkennung gesehnt hatte, als Mann gesehen werden wollte.
Als Nick in James’ Alter gewesen war, hatte seine Mutter die Familie verlassen – mitten in der Nacht hatte sie sich davongemacht, mit wenig mehr als den Kleidern, die sie am Leibe trug. Zurückgelassen hatte sie die Zwillinge und ihren zutiefst verzweifelten Gatten. Sein Vater hatte sich immer mehr in sich zurückgezogen und Nick und Gabriel sich selbst überlassen. Bald darauf waren sie dann von einer beherzten Tante aufs Internat geschickt worden.
Das erste Schuljahr hatte Nick emsig gebüffelt – vermutlich, um seinen Vater zu beeindrucken, denn damals hatte er noch geglaubt, wenn er und Gabriel sich in der Schule hervortaten, würde ihr Vater sich wieder für sie interessieren.
Doch bald war ihm klar geworden, dass nichts – und er schon gar nicht – den Kummer und die Schuldgefühle seines Vaters mindern konnte. Als er nun den hoffnungsfrohen jungen Earl of Reddich betrachtete, weckte dies Erinnerungen daran, mit welcher Beharrlichkeit er selbst es immer wieder versucht, wie er allen Widrigkeiten zum Trotz an seinen Erfolg geglaubt hatte.
Er wollte diesem Jungen geben, was ihm nie vergönnt gewesen war.
„Allerdings“, sagte er schließlich. „Du musst noch ein bisschen üben, damit die Handgriffe sitzen, aber bei deinem Geschick dürfte es nicht lange dauern.“ Nick knöpfte seine Weste zu und sah den Jungen freudestrahlend den Knoten wieder aufziehen, um noch einmal vor dem Spiegel zu üben. Im Eifer des Gefechts verzog er so angestrengt das Gesicht, dass Nick lachen musste und ihm zu Hilfe kam. Als die Krawatte fertig gebunden war, schaute James zu ihm auf und grinste.
Im Nu hatte er den Knoten wieder aufgezogen, um noch einmal zu üben. Nicks Gedanken schweiften derweil zu Isabel. Wie sollte er nur aus ihr schlau werden? In einem Augenblick stieß sie ihn von sich, bat ihn unmissverständlich, aus ihrem Haus und ihrem Leben zu verschwinden, und im nächsten offenbarte sie ihm ihre Geheimnisse und gab sich ihm hin – so süß, so sinnlich, so schön.
Noch nie war er einer Frau wie ihr begegnet.
Wie sie sich ihm anvertraut, ihm von ihrer Vergangenheit erzählt hatte – der Flucht ihres Vaters, der Verzweiflung ihrer Mutter, ihren eigenen Versuchen, den Rest der Familie zusammenzuhalten und Townsend Park zu halten –, das faszinierte Nick. Aber schlau wurde er nicht aus dieser Frau.
„Halt, erst noch einmal überschlagen“, leitete er James an, während er nach seinem Rock griff.
Sorgsam folgte James seinen Anweisungen. „Ich habe nachgedacht.“
„Ja?“
„Ich finde, Sie sollten Isabel heiraten.“
Den Rock halb angezogen, erstarrte Nick und betrachtete die ernste Miene des Jungen. „Wie bitte?“
„Das liegt doch nahe, oder?“
„Ja?“
James nickte. „Ja. Isabel ist bestimmt eine ausgezeichnete Ehefrau. Und wollen Sie auch wissen, warum?“
„Allerdings.“
Der Junge holte tief Luft. Wahrscheinlich hatte er sich die Worte gründlich zurechtgelegt. „Sie ist sehr gut darin, einen Haushalt zu führen. Ich kenne niemanden, der so gut rechnen kann. Und sie kann
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