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Auf zwei Planeten - Ungekürzte Ausgabe in zwei Büchern

Auf zwei Planeten - Ungekürzte Ausgabe in zwei Büchern

Titel: Auf zwei Planeten - Ungekürzte Ausgabe in zwei Büchern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
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zur Fabrik transportiert werden, wo man das Holz verarbeitet. Und raten Sie, was in dem hohlen Baum steckt!«
    »Nichts, vermutlich.«
    »Hier, Ihr Tuch. Vielleicht hunderttausend solcher Tücher. Sehen Sie, da –«
    Eine Anzahl Neugieriger, besonders aber Kinder, hatten sich um den abgesperrten Kreis gesammelt. Als die Schranken fielen, stürzten sie mit Jubel auf den Stumpf des Baumes zu und kletterten auf den Rand. Gleich darauf sah man sie, die Hände fest zusammengedrückt, davonlaufen.
    »Was haben sie da?« fragte Isma.
    »Das Gewebe der Lisspinne, es füllt die Höhlung des Baumes zum großen Teil aus, und was unten im Stumpf bleibt, gehört dem, der es nimmt.«
    Ein kleiner Junge rannte auf Ells Wagen zu, den er im Eifer so spät bemerkte, daß er beim Ausweichen hinstürzte. Gleich war er wieder auf den Beinen, aber jetzt suchte er nach seiner Handvoll Lis, die ihm entfallen und nun kaum zu sehen war. Isma, die den Wagen verlassen hatte, sah das Gewebe zufällig am Boden glitzern und hob es auf. Sie betrachtete es neugierig. Der Knabe bemerkte es. Es war ein kleines, dickes, pausbäckiges Kerlchen, sehr ärmlich gekleidet. Er starrte Isma an. Sie hielt ihm das wirre, weiche Fadenknäuel hin. Seine Augen leuchteten groß auf, als er es wieder erhielt, aber er blieb wie angenagelt mit gespreizten Beinchen vor Isma stehen. Seine Blicke gingen jetzt zwischen Isma und seinen Händen hin und her. Er kämpfte offenbar einen großen Kampf. Dann hielt er das Päckchen Isma wieder hin und sagte, als wenn er ein Königreich vergäbe:
    »Ich schenke es dir.«
    »Warum?« fragte Isma lächelnd.
    »Weil du kleine Augen hast.«
    Isma wußte nicht, ob sie recht verstanden habe, und sah Ell zweifelnd an.
    »Weil ich kleine Augen habe?« wiederholte sie fragend.
    »Kleine Augen sind traurig, man schenkt ihnen«, sagte der Knirps.
    »Ich will dir –« Isma unterbrach sich. »Ich will dir auch etwas schenken, weil du große Augen hast«, wollte sie sagen. Aber es fiel ihr ein, daß sie nichts zu verschenken habe. Der kleine Nume auf seinen Wackelbeinchen – was konnte sie ihm als Gegengabe bieten?
    Ell verstand sie. Er griff in die Wagentasche, in der sich einige kleine Erfrischungen befanden, und gab Isma ein Stückchen Naschwerk.
    »Das ist etwas für ihn«, sagte er.
    Der Junge lachte über das ganze Gesicht, als ihm Isma den Kuchen reichte. Diese Sprache verstehen die Kinder aller Planeten. Aber er biß nicht sogleich hinein.
    »Gib ihr auch«, sagte er zu Ell. »Du hast große Augen. Große Augen dürfen nicht essen, wenn kleine hungern.«
    Er beruhigte sich nicht eher, bis Isma einen Kuchen in der Hand hielt. Dann rannte er spornstreichs davon.
    Isma stieg ein. Der Wagen rollte weiter.
    »Was meinte er mit den kleinen Augen?« fragte Isma.
    »Das ist eine sprichwörtliche Redensart. ›Kleine Augen‹ nennt man unglückliche, kranke, armselige Leute. Der Junge hat die Sache wörtlich genommen.«
    Man durchfuhr die Zone der Wohnhäuser, die Bäume hörten auf, der Wagen glitt unter die Säulenhallen der Industriestraße. Ell beschleunigte sein Tempo, er fuhr auf den Außenstreifen der Stufenbahn und war schnell auf der breiten Mittelstraße. In einem Gewühl von Fahrzeugen legte er hier seinen Weg zurück.
    Aus der Ruhe des ländlichen Hauses, in der Isma sich zunächst einige Tage bei der liebenswürdigen Pflege ihrer Wirte hatte erholen sollen, und jetzt aus der Einsamkeit des Waldfriedens fand sich Isma plötzlich in das Gedränge des Weltverkehrs, der Weltstadt im wörtlichen Sinn, versetzt. Denn diese Palastreihen bildeten in der Tat den Zusammenhang einer Riesenstadt, die sich über den größten Teil des Planeten verbreitete, nur mit der glücklichen Anordnung, daß sie meilenweite Wälder und auch Hunderte von Meilen ausgedehnte Wüsten zwischen ihren Mauern umschloß. Wenn Isma den Blick auf die Wagen und Fußgänger richtete, die sich in ununterbrochener Kolonne in derselben Richtung mit ihr bewegten oder auf der andern Seite der Straße ihr in rascher Gangart entgegenkamen, so glaubte sie in einer ungeheuern Völkerwanderung zu stecken. Dabei war das Geräusch keineswegs betäubend, denn auf diesem Planeten wickelte sich alles verhältnismäßig leise ab. Auch die relative Geschwindigkeit der Wagen und Fußgänger gegeneinander war nicht groß. Nur wenn sie nach den kühn aufstrebenden Säulen blickte, welche die mächtigen Wölbungen trugen, nach den Treppen und Aufzügen, die an den Seiten in die oberen

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