Aufbrach aus der nacht (Liebesromane) (Tagebücher der Dunkelheit: Band 3) (German Edition)
fast blind. Alles sah gleich aus – glatt, weiß und rechtwinklig. Außer in Bodennähe, wo das Weiß ein bisschen schmutzig und fleckig geworden war.
Von weit weg sah die Stadt wie ein perlmuttartiger, wunderschöner Ort aus. Aber aus der Nähe zeigten sich der Schmutz und die Scheiße unter der Oberfläche. Genau wie alles andere auch.
Wasser rauschte da hindurch, in Kanälen an den Fußwegen entlang, und ergoss sich über Rutschen oder in Form von Wasserfällen von höheren Ebenen. Und da sie Marley Huvane getroffen hatte, verstand sie auch warum. Wie Bilder von den verlorenen Gärten Babylons, so hing Efeu von jeder Ebene an vielen der Gebäude herunter. Ab und an fanden sich rote, rosa und gelbe Blüten auf einem Balkon oder entlang der Kanäle. Aber abgesehen davon gab es sehr wenig organisches Wachstum. Nur weiß, glatt und makellos. Eine beschissene Gruselkammer.
Als sie sich einen weiteren Fusel der verdammten Wolle von ihrem Hemd pflückte, entfernte Zoë sich schnell vom Verladeplatz am Hafenbecken auf der nördlichen Seite der Stadt außer Sichtweite von der Küste. Niemand schien ihr viel Beachtung beizumessen, denn im Hafen hier herrschte so reges Treiben, wie sie es in Filmen immer gesehen hatte. Eine Menge Dinge standen rum, Leute luden Kisten von den Booten ab, brüllten und schrien Befehle.
Mit ihrem Bogen über der Schulter und ihrem Köcher immer noch am Rücken wusste Zoë: sie hatte nur wenig Zeit hier wegzukommen, bevor sie dann doch noch jemanden auffiel. Sie hielt die Augen gesenkt, wenn sie an Passanten vorüberging, und packte ihren Bogen fest mit der Hand.
Um Quent machte sie sich keine Sorgen. Er könnte nicht sicherer sein als mit Seattle, der das wertvolle Lösegeld mit seinem Leben beschützen würde – bis Quent ihm entkam, was unvermeidlich war. Seattle konnte Quent intelligenzmäßig nicht das Wasser reichen. Ebenso wenig an Kraft und bei den kühlen Nerven. Weswegen sie eben Seattle ausgesucht hatte und nicht Ian Marck.
Und wenn es Quent dann doch nicht gelingen sollte zu entfliehen, hatte sie einen Plan B, der Seattle ebenso glücklich machen würde. Alles, was sie hatte tun müssen, war Remington Truth zu erwähnen, und er hatte über den ganzen, von ihr vorgeschlagenen Deal geradezu gesabbert.
Aber jetzt brauchte Zoë einfach erst ein bisschen Zeit, einen Aufschub. Das würde ihr die Gelegenheit bieten zu tun, was sie tun musste.
Als sie nach dem Gebäude mit den roten Vierecken darauf suchte, hielt sie sich die Hand über die Augen wegen der brennenden Sonne. Sie hatte das Richtige getan. Ganz klar hatte sie das Richtige getan.
Quent wäre in Sicherheit und er würde das Risiko nicht auf sich nehmen müssen.
Er würde nicht mit der Entscheidung leben müssen.
Sie fand das Gebäude mit den roten Vierecken, die das Dach einrahmten, und ging darauf zu, eine schmale Straße hoch und eine andere wieder runter. Jetzt, da sie weiter vom Hafen entfernt war, waren die Durchgangsstraßen hier ruhig, nur gelegentlich ein Passant. Zoë kam an einem verglasten Gebäude vorbei, das aussah, als wären darin nur Pflanzen. An einer anderen Straße lag ein kleiner Garten, wo drei junge Leute in der Sonne die Beete rechten und Unkraut pflückten. Die Stadt war geisterhaft still und schien fast zu schlafen. Gar nicht so wie Envy, wo Leute die ganze Zeit in den bewohnbaren Teilen davon unterwegs waren und das Geräusch von Stimmen und spielenden Kindern ständig die Straßen erfüllte.
Sobald sie den Fußweg zu Fieldings rotgekacheltem Haus gefunden hatte, hielt sie kurz inne und schaute hoch. Ihre Handflächen waren ein wenig feucht und sie packte ihren Bogen fester. Das Haus sah wie eine oben flach abgeschnittene Pyramide aus vier Stockwerken aus. Eine kleine Grünanlage, sauber gestutzt und kurz geschnitten, bildete zwei kleine Rechtecke vor dem Eingang hinter einem großen Tor.
Sie näherte sich mutig den beiden Wachtposten. „Sagt Fielding, dass Raul Marcks Killer hier ist, um mit ihm zu sprechen. Und zwar zackig.“
Einer von ihnen starrte sie mit offenem Mund an, während der andere zu einer Apparatur griff, die wie ein altes Telefon aussah. Zoë hatte einen Pfeil angelegt und sie hielt ihren Bogen bereit, aber auf den Boden gerichtet. Sie wartete, während der Wachmann leise in den Hörer sprach.
Endlich legte der Wachmann den Hörer auf und sagte, „er will dich sehen.“
Zu ihrer Überraschung verlangten sie von ihr nicht
Weitere Kostenlose Bücher