Aufbruch - Roman
studierte damals in Köln, Philosophie und Geschichte, wollte Studienrat werden, aber nach dem Krieg wurden Lehrer gebraucht, also Volksschule. In Köln studiert, bei Ernst Bertram. Er war sicher kein Nazi, so, wie sein Bonner Kollege Hans Naumann, der die Bücher eigenhändig ins Feuer warf. Bertrams Verhalten war typisch für die Haltung der gesamten Universität, diese Mischung zwischen Mitmachen und Widerstand. Einerseits gelang es ihm, die Verbrennung der Werke seiner Freunde Friedrich Gundolf und Thomas Mann zu verhindern. Bertram war sogar der Taufpate von Manns Tochter Elisabeth. Andererseits verfasste er so klägliche Verse wie, warte, ich hab sie noch im Ohr: ›Verwerft, was euch verwirrt, / Verfemt, was euch verführt! Was reinen Willens nicht wuchs, / In die Flammen mit, was euch bedroht.‹ Vom Professor selbst am Scheiterhaufen vorgetragen. Durchgeführt wurde das Ganze ja von den Studentenverbänden; dem ›Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund‹ und der ›Deutschen Studentenschaft‹. Die vor allem wollten beweisen, dass sie mit den Nazis gleichziehen konnten.
Ich weiß bis heute nicht, warum die furchtbare Sache in Köln erst eine Woche später als an den anderen Unis stattfand. Angeblich wegen Regen. Der die in Bonn aber nicht hinderte. Ach, Hildegard.«
Der alte Lehrer putzte sich umständlich die Nase. Ich sah auf meinen Kuchen.
»Sämtliche Lehrveranstaltungen aller Fakultäten waren ausgefallen. Und Bertram erwartete, dass seine Studenten teilnahmen. Auf dem Platz vor der alten Universität in der Claudiusstraße waren alle versammelt: stramme Nazis und Leute aus der Politik, Rektor, Senat, Professoren und Studiendirektoren im Karree um den Scheiterhaufen. Gegenüber am Kriegerdenkmal SA und studentische Korps, dahinter wir, die Studenten und Zuschauer. Die Bücher lagen schon da. Sogar die Kriminalpolizei hatte Buchhandlungen und Leihbüchereien gefilzt. Reden wurden gehalten, der deutsche Geist beschworen. Und dann die Sprüche! Die sogenannten Feuersprüche. Keinen Deut besser als die ›Zwölf Thesen wider den undeutschen Geist‹. Hielt sich Bertram ja sehr zugute, dass die in Köln nicht verlesen wurden: ›Unser gefährlichster Widersacher ist der Jude und der, der ihm hörig ist.‹ Und Ähnliches.«
Mohren schloss die Augen. »Das Feuer brannte schon. Die Bücher lagen schon da. Ein paar Sprüche hab ich noch im Ohr, so ungefähr. ›Erster Rufer!‹, schreit einer vom ›Deutschen Studentenbund‹. Ein schmächtiger Mensch tritt vor, ein SA-Mann gibt ihm Bücher. ›Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung. Ich übergebe der Flamme die Schriften von Marx und Kautsky‹, kreischt der Schmächtige. Die Fahne hoch! spielt eine Kapelle. Eine studentische Abordnung marschiert einmal um den lodernden Haufen herum. ›Nächster Rufer!‹ ›Gegen Dekadenz und moralischen Verfall, für Zucht und Sitte in Familie und Staat. Ich übergebe der Flamme die Werke von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner.‹ Das war Kurt aus dem Mittelhochdeutsch-Seminar! Und weiter: ›Gegen seelenzerfressende Überschätzung des
Trieblebens, für den Adel der menschlichen Seele! Sigmund Freud!‹ Dann: ›Gegen dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache, für Pflege des kostbarsten Gutes unseres Volkes! Ich übergebe der Flamme die Werke von Alfred Kerr.‹ ›Sechster Rufer!‹ ›Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften der Tucholsky und Ossietzky!‹«
Mohren sprach leise und bestimmt, überdeutlich akzentuierend, als läse er die Sätze widerwillig ab. Sackte zusammen wie unter einer immer schwereren Last. Verbarg sein Gesicht in den Händen. Ich musste wegschauen. Konnte den Anblick dieses erschütterten Mannes, meines alten Lehrers, nicht ertragen, so wenig, wie der wohl damals den Anblick der flammenden Bücher und der verbissen triumphierenden Kommilitonen hatte ertragen können. Ertragen müssen?
Mohren richtete sich auf. »Professor Bertram äußerte später, es sei diese ›unvermeidliche Kundgebung jetzt würdig verlaufen‹. Ja, Hildegard, du schaust so entsetzt, ich war dabei, wenn auch nur als Zuschauer.« Die Stimme Mohrens war zu einem kaum hörbaren heiseren Flüstern geworden.
Wir schwiegen. Die Standuhr schlug vier. Und wenn er nicht mitgegangen wäre, dachte ich? Oder sich einfach verdrückt hätte?
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