Aufbruch - Roman
Photos sahen sie aus, mit Ledermänteln und Schlapphüten, und er kam nicht wieder. Wer ihn verpfiffen hat, kam nie raus. Aber seine Stelle kriegte ein Braunhemd.«
Mohren streckte die Hand nach der Tasse aus, tastete nach dem Henkel. Er zitterte.
»Ich«, stotterte ich, »ich glaube, ich sollte jetzt besser gehen. Ich kann ja ein andermal wiederkommen.«
»Ja, Hildegard, das glaube ich auch. Für heute ist es genug. Für heute? Ihr wisst ja gar nicht, wie froh ihr sein könnt, mit all dem, mit der ganzen Zeit, nichts zu tun gehabt zu haben.« Mohren erhob sich schwer, trat an ein schmales Bücherregal, zog ein Buch heraus. »Hier, das kannst du in Ruhe studieren. Du wunderst dich, dass ich nicht mehr Bücher habe? Mehr brauche ich nicht. Aber die hier stehen, sind mir wichtig. Wenn du mit deiner Arbeit fertig bist, bringst du mir das Buch zurück.«
Mohren legte seinen Arm um meine Schulter, fast schien mir, er stützte sich auf mich. Ich war froh, als die Tür hinter mir ins Schloss fiel. Mohren hatte recht: Was hatte ich mit all dem zu schaffen?
Ich warf einen flüchtigen Blick auf das Buch. Victor Klemperer: LTI. Was hatte das schon wieder zu bedeuten? Schlug das Buch auf, las das Motto: »Sprache ist mehr als Blut.« Franz Rosenzweig. Ein Satz, der ins Blut geht. Rosenzweig, ein jüdischer Name, dachte ich, und dann: Halt, was ist das - ein jüdischer Name? War Heine ein jüdischer Name? Wassermann? Zweig? Luxemburg? Mendelssohn? Was war jüdisch an einem Wort? An einem Menschen?
Bis Friedel zurück war, verstrichen ein paar Tage. Es fiel mir schwer, das Buch mit dem geheimnisvollen Titel LTI nicht anzurühren, so, wie es Rebmann uns empfohlen, beinah befohlen hatte. »Was ihr herauskriegt, will ich wissen, eure Erfahrung ist wichtig. Den eigenen Augen und Ohren, dem eigenen Kopf vertrauen!« Bücher über diese Zeit bekämen wir noch oft genug zu lesen. Anders, wenn wir auf Drucksachen aus dieser Zeit stießen. Die wären dann als Zeitzeugen zu betrachten, beinah wie Menschen. »Allerdings«, hatte er hinzugefügt, den leeren Ärmel geschüttelt und die Nase gerieben, »Bücher lernen nichts dazu. Genauso wichtig wie das, was eure Gesprächspartner über die Nazizeit berichten, ist, wie sie das tun.«
Nichts hatte sich verändert unter dem schrägen Dach, dasselbe karge Zimmer, dieselben Drucke an der Wand, keine Blumen,
einzig der Mahagonischrank zeugte von vergangenem Wohlstand. Wie vor Jahren, als sie hier das Lexikon aufgebaut hatte, war der Kaffeetisch für zwei gedeckt.
»Ich kann mir schon denken, was du vorhast«, ersparte mir Friedel nach einer herzlichen Begrüßung jede Erklärung. »Die Spatzen pfeifen es ja von den Dächern.« Ihr Gesicht, dem leichte Hängebäckchen einen dauerhaft traurigen Ausdruck verliehen, verzog sich zum vertrauten schiefen Lächeln. »In Maders Laden gibt es kein anderes Thema mehr. Die Alma tut sich gewaltig dicke mit deinem Besuch. Am liebsten würde die ein Schild neben die Hüte ins Fenster stellen: Alma Mader - Zeitzeugin erster Klasse, oder so.« Friedel fuhr sich mit der Hand durch ihr graues Kraushaar, eine vertraute Geste. »Wie bist du denn ausgerechnet auf die verfallen? Schokolama hieß die damals, durch und durch braun.« Friedel schnaufte. Ihre kleine dürre Gestalt in der schlappen blauen Trainingshose und der leicht vergilbten Bluse voller Verachtung .
»Naja«, druckste ich, »eher Zufall. Weil du nicht da warst. Hast du den auch wieder selbst gebacken?«, nickte ich anerkennend über meinem Kuchenstück.
»Daran erinnerst du dich?«, gab Friedel mit gerührtem Spott zurück. »Tja, wenn alle so ein gutes Gedächtnis hätten! Nein, diesmal kommt der Kuchen von Haase. Beim letzten Mal hatten wir ja etwas zu feiern. Und diesmal? Ach, Hildegard, was sich euer Lehrer dabei wohl gedacht hat! Und die Alma! Die hat doch bestimmt nichts dazugelernt. Bei dem Vater! Der war einer von den Schlimmsten hier im Dorf. Nicht so direkt und brutal wie der Beilschlag, mehr so hintenrum. Mit Knüppeln und Steinen hat der sich die Finger nicht dreckig gemacht. Aber mit Tinte. Und mit dem Mund. Der konnte reden! Der Beilschlag hat sich dann auch nach’45 immer auf den berufen wollen, alles Anweisung von oben. Der Brief vom Blumenfeld hat ihn vorm Schlimmsten bewahrt. Ein typischer 131er!«
Friedel stand auf, kramte in einer Schublade, der nächsten. »Zu gut versteckt«, murmelte sie. »Aha!« Mit einer Packung
Senoussi kam sie wieder. »Ich hab es mir fast
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