Aufbruch - Roman
Seife trinken, mein ich.« Elsbeths rosige Wangen verfärbten sich ins Purpurne.
»Seife? Igitt!«, rief Anita, zerrte den Schinken von ihrem Brot und würgte ihn unzerkaut hinunter. »Da weiß isch ja noch wat Besseres!«
»Jo, wie vor Johre, wie mir disch unger dä Dür rusjetrocke 47 han«, fuhr ihr Lore über den Mund, und Anita zog den Kopf ein. Sie war seit zwei Jahren verheiratet, hatte aber noch keinen Nachwuchs. Erst wenn sie ein Kind in die Welt gesetzt habe, so ihr Mann, Kollege meines Vaters in der Kettenfabrik, dürfe sie zu Hause bleiben. »Isch tu, wat isch kann, und der Ejon auch«, so Anita, »aber et klappt nit.«
»Seife trinken? Nä«, entschied Traudchen, »viel zu jefährlich. Allerdings …«
Traudchen liebte Pausen. Liebte es, wenn die Frauen an ihren Lippen hingen wie dem Pastor auf der Kanzel.
»Allerdings, wat dann allerdings?«, drängte Margot. Seit die Kürschnerei in Erpenbach dichtgemacht hatte, saß auch sie bei Maternus am Band, kam aber immer mit Lippenstift zur Arbeit und trug auffällig elegante Schuhe. Jedenfalls bis zum Spind. Da hielt sie ihre Latschen parat.
»Naja, et kann helfen«, gab Traudchen zu. »Aber besser ist doch heiß baden. So heiß, wie et die Haut verträscht. Un dann Persil rein, eine janze Packung. Dat der Schaum auch rischtisch dursch un dursch jeht.«
»En janze Packung? Is dat nötisch? Wat en Verschwendung! Do krisch isch jo sechsmol met jewäsche«, ging es aufgeregt durcheinander.
»Eine janze Packung!« Traudchen blieb hart. »Dat muss sisch doch lösen da drin! So wie dä Dräck aus dä Kleider.« Sie kicherte verhalten.
»Lösen tut sisch dat am besten mit Rizinusöl.« Das war Marga Schweppes, lebenslustig, noch keine dreißig.
»Dat sieht man!«, höhnten die Frauen. Marga erwartete das vierte Kind. »Dä muss mesch nur ankucke«, pflegte sie entschuldigend zu sagen.
»Rizinusöl! Dat jeht am falsche Loch eraus!« Die Frauen kreischten.
»Ach wat!«, schaltete sich Maria Posomierski ein. Sie hielt sich meist aus allem heraus, was auch mit dem seltsamen Tod ihres Mannes zu tun hatte. Immer wieder musste sie erzählen, wie ein Auto »dat Scheusal« buchstäblich von ihrer Seite gerissen hatte, was von den Frauen als ausgleichende Gerechtigkeit begrüßt wurde, und ihnen jedesmal aufs neue eine eigentümliche Genugtuung verschaffte. Alle wandten sich Maria zu, die ihre Lippen über die Zähne nach innen zog und die Augen zusammenkniff, als prüfe sie uns auf Vertrauenswürdigkeit. Sie lebte jetzt in einer
Onkelehe, wie man das nannte, mit einem Arbeitskollegen ihres Verstorbenen, wegen der Rente. Kinderlos.
»Ach wat!«, wiederholte sie. »Dat Beste is ein Motorrad.«
Jetzt war auch Traudchen mit ihrem Doktorlatein am Ende.
»Mach schon«, drängte Lore, »die Pause ist jleisch vorbei. So wat ze wisse, könne mir doch all jebrauche.« Sie warf mir einen schnellen entschuldigenden Seitenblick zu.
»Also drauf auf dat Motorrad und dann über Stock un Stein. Dat darf sisch nit drin festsetzen! Je pucklijer, desto besser! Isch weiß, wovon isch rede!« Maria Posomierski strich sich übern Kittel, von der wohlgerundeten Brust übern flachen Bauch bis zu den Oberschenkeln. Mit neidischen Blicken folgten die Frauen der Bewegung. Fast alle hatten ein paar Kilo zu viel, aber dat Maria, auch nit mehr die Jüngste, hatte ein Fijürschen, dat musste man ihm lassen!
Lore erhob sich. »Komm Hilla, dat reischt! Ja, hier bei uns lerns de wirklisch wat für et Leben. Nu, komm, dat is wirklisch nix für disch.«
»Ävver früh jenuch, sonst is et zu spät«, fügte Maria noch hinzu, dann heulte die Sirene und schickte uns mit diesem rätselhaften Schlusssatz zurück ans Fließband.
In den nächsten Tagen war ich vom Fahrrad kaum noch runterzukriegen. Wie vor Jahren, als ich vor der Pappenfabrik in den Alkohol geflohen war, raste ich nach der Arbeit einfach drauflos, raus aus dem Dorf, weg von dem glatten Asphalt, vorbei an Karrenbroichs Hof, durch zerfetzte Kuhfladen, trocken gedörrt wie surrealistische Plastiken. Glühende Luft krümmte das reglose Laub, Staub stieg wie Dampf aus den Feldwegen und überzog das verdorrende Buschwerk mit stumpfem Grau. Auf dem Damm schaute ich nach Nicki aus, ihrem roten Röckchen im grünen Gras.
Schon nach kurzer Zeit wäre ich am liebsten abgestiegen, jeder Knochen verlangte nach Ruhe, nach weichem Sand, einem ruhigen Blick unter die hohe blaue Himmelsschale.
Hilla Selberschuld ließ das nicht zu. Hilla
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