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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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meiner Bilder, schwang mich auf in den Himmel meiner Wörter, goldenstaubig, mag sein, Katzengold, goldfarben gewiss, bunt belichtert und gefiltert, reiste dort herum zwischen Möwen und Heringsschwärmen, weißen Wolkenfischen und Jumbojets, durch immer neue Kraft und Herrlichkeit, und meines Reiches wird kein Ende sein.
    »Meer«, schrieb ich und schmeckte das Salz auf der Haut, schrieb »Sand« und spürte ihn rau zwischen meinen Zehen. Ich konnte die Wörter fühlen, wie Berührungen, denen ich in der Wirklichkeit auswich. »Warm«, schrieb ich, und meine Haut erlebte die Wohligkeit angenehmer Temperaturen, »Blütenduft«, schrieb ich, und meine Nase schwelgte in Düften, ich hörte, sah, schmeckte, fühlte und roch, was immer ich schrieb.
    Davon trug mich der Rhythmus, davon und immer weiter ins Meer, wie die Strömung des Rheins, der Rhythmus der Wörterfolge, irgendwann wichtiger als die Wörter selbst, das Strömende,
Bewegende, Tragende, die Strömung unter der Strömung, die den Wörtern ihre Bedeutung zuschliff, bis sie rund und glatt und hart wurden wie jahrmillionenalte Kiesel. Rhythmus war Zukunft und die Zukunft ein Meer. Immer weiter schwamm ich hinaus, ohne Furcht, ohne Angst, ohne Erschöpfung, bis zu meiner Insel, die ich Samtsee nannte. Schrieb von Bambushütten, von Palmen, dem Strand, offen, leer, voller endloser Möglichkeiten. Schrieb von Muscheln und Vögeln, Bilder fern von Raum und Zeit, Bilder gespeist von Eindrücken Gauguin’scher Gemälde aus meinem Buch für besondere Leistungen und von Erzählungen Somerset Maughams, wo Männer den Lava-Lava tragen und die Mynah-Vögel in den Kokospalmen am Ufer einer Koralleninsel kreischen. Alles war mir vertraut, im Innersten verwandt. In diesem lauteren Paradies gab es keine Sorgen, kein Leid. Unerreichbar dem Bösen, dem Trug, der Täuschung, dem Verrat. Unerreichbar. Ich hörte das Wasser, hörte den Gesang der Fische und Nixen, den Gesang des Windes und der Wellen, sah den Sonnenuntergang über dem Meer und ahnte das Glück. Das Meer, das Meer, was war das Meer? Ein Wort unendlicher Wörter voll, unerschöpfliches All pha Beet, alles verzehrend, alles vermehrend, zerfließend, ergießend, beladen und gesunken, den Winden erlegen, den Winden ergeben, dem Mond, ruhig und still, grün an den Uferrändern, rosa und lila, golden, kupfern und blau, sieghaftes Blau und dunkel zur Tiefe hin, wo ich hinabstieg, in einen Garten hinab zur kleinen Meerjungfrau, vor ihrem Sündenfall der Liebe, ohne Herz, aber mit einer betörenden Stimme. So wollte ich leben, herzlos und unberührbar, aus grünem Glas, aber meine Stimme perlmutterglänzend und betörend.
    In dieses Meer tauchte ich, Hilla Palm, ein, wann immer es nottat, mich reinzuwaschen von der Wirklichkeit.
    Wörter waren nicht länger ein Schlüssel zur Welt, sie waren Amulette, boten Schutz vor den Zumutungen der Wirklichkeit. Doch allein den Wörtern auf meinem Papier, den von mir geschriebenen, war zu trauen.

    Hier, und nur hier, war alles, wie es schien zu sein, eine große offene Welt, und die Welt ein Garten, in dem der Böse das Schlechte vergaß und der Gute seine Tugend genoss. Ich, Petra Leonis, ging von Hütte zu Hütte mit einem Gefühl wachsender Besänftigung, wachsenden Vertrauens. Anfangs waren die Hütten, die Strände, war alles menschenleer. Aber das war nicht traurig. Nur ruhig. Still. Die geschriebenen Dinge waren meine Freunde. Ich bewegte mich unter Freunden. Alles war mir zugetan, bis zum letzten Sandkorn, dem dünnen Vogelschrei, dem orchideenduftenden Wind. Große, langgestreckte, von einem südlichen Himmel überwölbte Sätze geleiteten mich durch eine heile Welt in ein nie verdämmerndes Licht. Und wenn es denn einmal dunkel wurde, dann so, dass dieses Dunkel mein Herz warm umhüllte. Drängten sich Bilder oder gar Wörter für die Lichtung herauf, wand ich meine Wörter, die erlaubten Wörter, zu besonders prächtigen Girlanden, ließ den Wind in endlosen Schleifen fächeln, die Gardenien in tausend Adjektiven duften, Kolibris durch blaue Zeilen schwirren, färbte die Morgendämmerung rosa, lila und grau, ließ die Milchstraße flirren, den Vollmond, Halb- und Sichelmond in kunstvollen Brechungen auf den Wellen schimmern, bis ich übersatt war vor so viel papierener Harmonie.

Tag für Tag schrieb ich die andere ins Buch, schrieb das Tagebuch einer anderen. Hilla Palm schrieb sich um in Petra Leonis; Petra Leonis umschrieb, umschlang Hilla Palm. Hilla Palm wuchs eine

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