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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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weiterhin den Rücken zu und Gott sein Gesicht.

    »Lecko mio«, kicherte Hanni, »wenn die mal widder en de Kirsch kommt. Die denk doch jlatt, da hausen de Heiden, met däm Altar verkehrt erum. Un die Hostie kriejen wir nit mehr in de Mund, da müsse mir jetzt die Hand für aufhalten.« So, Hanni legte die Hände ineinander, dass sie eine Schale bildeten.
    Die drei Frauen schüttelten den Kopf.
    »Ja, wisst ihr denn auch warum?«, fragte ich, froh, doch noch ein paar Lesefrüchte beisteuern zu können. »Ganz früher«, begann ich, wann war das ganz früher? Keine Ahnung, schon vergessen, »also, bei den ersten Christen gab es nur die Handkommunion. Die geweihte Hostie, den Leib Christi, in die Hand. Jesus hat seine Apostel beim letzten Abendmahl ja auch nicht gefüttert.«
    Die Tante räusperte sich, Hanni unterdrückte ein Grinsen.
    »Aber dann«, fuhr ich fort, »wurde immer mehr Schindluder mit den Hostien getrieben.«
    »Schindluder?«, fiel mir die Mutter ins Wort. »Schindluder?«
    Es war nicht klar, ob sie das Wort nicht verstand oder die Sache, um die es ging.
    »Ja, Schindluder«, sagte ich, »Hexerei. Hexer und Hexen, sagt man, trugen die Hostien nach Hause, um sie dort für ihre schwarzen Künste zu gebrauchen.«
    »Wie dat dann?«, unterbrach die Tante begierig.
    »Die Hostien wurden zerstoßen oder aufgeweicht und in Zaubertränke gemixt.«
    »Um Jotteswillen!« Die Mutter schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
    »Und deshalb hat man auf dem Konzil von Triest, das war so im 5. Jahrhundert nach Christi, die Mundkommunion beschlossen.«
    »Und jetzt wieder retour«, kommentierte Hanni, »zurück zum Abendmahl.«
    »Richtig«, bestätigte ich. »Nicht alles ist so neu. Manches Neue ist eigentlich das ganz Alte.«
    Die Frauen schwiegen.

    »Aber singen«, die Stimme der Mutter klang verzagt, »singen«, sie schaute mich an, als hätte ich das letzte Wort in der Sache, »singen tun mir doch wie früher?«
    »Ja, sischer dat«, sagte ich, fügte zur Bekräftigung sogar ein »Mama« dazu. »Jesungen wird sogar noch mehr.«
    Wie aufs Stichwort klang es in diesem Augenblick aus dem Nachbarhaus »Meerstern, ich dich grüße«, das war Julchens Alt, »oho Maharihiaha hilf«, tremolierte Klärchen, und ich sah, dass die Mutter am liebsten mitgesungen hätte: Maria hilf uns all in diesem Jammertal. Stattdessen lächelte sie, nein, sie grinste mich fast ein bisschen frech an: »Die machen et rischtisch. Notfalls singen mir zu Hause. Dafür brauche mir kein Kirsch«.
    »Rischtisch, Tante«, pflichtete Hanni ihr bei. »Hier muss et sitzen, hier, wat, Hilla? Hier jehört der hin, der da oben!« Aufmunternd nickte die Cousine dem Leichnam am Großvaterkreuz zu und streichelte ihre Brust, als kraule sie den lieben Gott darin wie ein kleines Kätzchen.
    »Un wofür zahle mir dann noch Kirschensteuer?«, knurrte die Tante, »wenn mir auch alles selbs könne. Dann könne mir ja auch direk ze heim bliewe un bruche kein Kirsch mehr und keine Pastur!«
     
    Weihnachten war der »Tisch« wieder weg. So einfach ist das mit den Dingen, dachte ich, der alte Zustand wiederhergestellt. »Sanctus« und »Credo« rauschten von der Empore, »Gloria in excelsis Deo« mit Orgel und Chor, pange, lingua, singe, Zunge, Kreuzkamp ließ den Manipel flattern und sang »Deo gratias«. Weihte Brot und Wein, und fides, der Glaube, schuf Corpus Christi, den Leib Christi, daraus, und die Gemeinde sang in seinen weihnachtlich bestickten Rücken die schönen alten Lieder auf Deutsch.
    Ostern aber hatte der »Tisch« gesiegt. Die Frömmigkeit der Tante und aller, die fühlten wie sie, erlitt einen schweren Schlag. Weihnachten war der Altar zwar noch einmal genutzt worden, aber nur als Provisorium. Zu forsch hatte Kaplan Vogel den »Tisch« umkreist, zu weit ausgeholt bei seinen priesterlichen
Aktionen auf dem schmalen Streifen zwischen Tisch, Altar und Stufen. Vor den Augen der Gemeinde hatte dieser Engpass den Kaplan zu Fall gebracht, ins Straucheln und runter die Treppe bis an die Kommunionbank. Die Tante und ihresgleichen hatten darin einen Fingerzeig Gottes gesehen. Aber die neue Zeit war von Fingerzeigen nicht mehr aufzuhalten.
    Mit der österlichen Auferstehung verschwand der Altar in der Versenkung; er hatte ausgedient. Als Ding blieb er stehen, schön und nutzlos, ein Kunstwerk, wie der Anfang eines Märchens: Es war einmal.
     
    Doch was ging es mich überhaupt noch an, wo der Altar stand? Ob der Pastor mir den Rücken zukehrte? Ob er

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