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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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die fresche Jesischter von de Blagen.«
    »Blagen?«, wiederholte ich dümmlich.
    »Jajo, de Messdiener. Kucken einem fresch in et Jesischt. Jestern noch in fremde Prummebööm 50 , zappzerapp, wie beim Julsche neweran, un am Sonndach dun se, als wör nix jewese.«
    »Naja«, erklärte ich, »es soll eine Gemeinschaft sein zwischen dem Priester und der Gemeinde. Das soll zeigen, dass man zusammengehört.«
    »Un wie dä kallt«, fuhr die Tante fort. »Su künne mir dat auch, wat, Hilla? Dofür hätt dä doch nit studiert!«
    Seit unserem lateinischen Nachmittag hatte ich die Tante für diese Sprache gewonnen. »Weiß de noch mehr, wo dat Lateinische drin steckt?«, hatte sie gebohrt, als uns partout keine neuen Wörter auf -at mehr einfallen wollten. »Alles, wo vorne super steht«, hatte ich gesagte, »Superbenzin …«
    »Supermarkt«, fiel die Tante ein, »Supermän. Un wat heiß dat: super?«
    »Obendrauf«, sagte ich. »Das Höchste. Kannst du im Grunde überall davorsetzen, wenn dir etwas gefällt.«
    Die Tante feixte. »Maria, has de noch en Tässjen Superkaffe mit Supermelsch un Superzucker. Für dein Superschwester.«
    Besonders im katholischen Frauenverein prahlte die Tante, wie man im Dorf halb spöttisch, halb anerkennend erzählte, oft und gern mit ihren Kenntnissen. Zusammensetzungen mit ante,
per und pro waren mit der Zeit noch dazugekommen; immerhin war sie die Tochter der Großmutter, und es mochte ihrem rebellischen Sinn gefallen, dass das Lateinische sie in die Nähe des Pastors rückte, dem die Großmutter mit einem Knicks begegnete. Und das sollte jetzt nichts mehr wert sein!
    Dass die Tante meine Unterstützung suchte, machte klar: Sie brauchte starke Kräfte in ihrem Feldzug gegen Kreuzkamp, Kardinal und Papst.
    Doch noch ehe ich ihr den Gefallen tun konnte, den gemütlichen lateinischen Singsang, in dem der Pastor gleichermaßen von Christi Geburt bis zum Jüngsten Gericht das Wort Gottes verkündete, zu verteidigen, kam mir Hanni zuvor.
    »Jetzt könne mer doch wenigstens mal verstehen, wat die da vorne nuschele. All dä Hokuspokus. Isch denk, mir sind all Kinder Jottes. Dann solle die och su spresche, dat mer se versteht.«
    »Ävver dat Lateinische is doch su schön«, sagte die Tante mit ungewöhnlich kleinlauter Stimme und sah mich hilfesuchend an. »Un wischtisch für alle anderen Sprachen. Rischtisch?«
    Ihr so schnöde zu antworten wie in der Schule, brachte ich nicht übers Herz. Dort hatte ich schlichtweg behauptet, mir sei es schnuppe - Deutsch, Latein, Jesus habe sowieso Aramäisch gesprochen, wenn es eine Sprache Gottes gäbe, dann also diese. Das kleine Mädchen, das Latein einmal für die Sprache Gottes gehalten hatte, war tot. Was ging es Hilla Selberschuld an, dass der Stellvertreter Gottes auf Erden die Sprache seines Vorgesetzten einfach abschaffte?
    Nicht nur die Augen der Tante, die Blicke aller waren auf mich gerichtet. Die Frauen wahrhaft erschüttert. Offenbar hatte Kreuzkamp die Neuerungen nur höchst unzulänglich erläutert; womöglich gefielen sie ihm selber nicht. Die Frauen brauchten Trost und Ermutigung. Was konnte ich ihnen schon sagen, die ich von Gott verlassen war in allen Sprachen, verlassen vom Gott meiner Kindertage, vom Gott der Kerzen, Fahnen und Prozessionen, vom Gott meiner Schulzeit, vor Gott der mittleren
Reife, der Obersekunda, Unterprima, sogar in der Zeit mit Sigismund, des grünen Geistes und op dr Papp war Gott noch bei mir gewesen, hatte ich ihn noch gehört, wenn auch aus weiter Ferne, kaum verständlich, keine Wörter mehr, nur die Stimme, nur noch dass , nicht mehr was Gott sprach, war gewiss gewesen - doch vernommen hatte ich ihn, war, gleichgültig oder bockig, doch sein Kind geblieben -, bis zu jener Nacht. Schluckauf die einzige Antwort auf meine zahllosen Gegrüßetseistdu-Maria. Vielleicht hätte ich mich lieber ins Vaterunser flüchten sollen, direkt zu Gott, ohne den Umweg über eine Hilfskraft, Dienstmädchen Maria. Ich musste lächeln.
    »Wat jibet denn da ze jrinse?«, empörte sich die Tante. Auch die Mutter sah mich erwartungsvoll an. Ich wusste, wie gern sie »Tantum ergo sacramentum« heraussang, ihre Stimme »mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa« frei und zuversichtlich wie nie unterm Klingeln der Messdienerglöckchen. Hörte Kreuzkamps unerschütterliches »Dominus vobiscum« vom Altar, wenn er sich mit flatternd ausgebreiteten Armen der Gemeinde zuwandte; ihr tapferes »et cum spiritu tuo«, was mir als Kind wie ein

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