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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Stoß in eine Fanfare oder Trompete geklungen hatte. Sah die Hand des Pastors das Kreuzzeichen schlagen, den Manipel siegreich wehen: »Ite missa est«, und die Stimme der Mutter froh und geborgen im Chor der Stimmen aller: »Deo gratias.« Vorbei.
    Schon als kleines Mädchen hatte ich mir gern vorgestellt, wie überall auf der Welt fromme Münder ein »Deo gratias« formten, reuige Sünder ihr »mea culpa« murmelten, und »ego te absolvo« den ganzen Erdkreis reinwusch, von Sünden rein. Hatte mir vorgestellt, wie glücklich die von meinem Silberpapier getauften Heidenkinder das »Sanctus« sängen, »Hosianna« und »Kyrie eleison«, »Credo in unum Deum« von Sansibar bis Dondorf, Altstraße 2.
    Vorbei.
    Ich musste der Tante recht geben. Gott die Sprache Gottes zu nehmen: Das war ein Unglück. Mehr noch: Den Kindern Gottes
die Sprache ihres Vaters zu nehmen, die Sprache, die ihnen allen gemeinsam gewesen war, von Grönland bis Südafrika, kam mir hier unterm Laubsägekreuz des Großvaters in der Küche, wo wir vor dem Fernseher auf den Knien gelegen hatten, als der Papst in der Sprache Gottes urbi et orbi den Segen spendete, dieser angebliche Fortschritt kam mir vor, als hätten die Stellvertreter Gottes auf Erden uns, die Kinder Gottes, beraubt und enterbt.
    Aber war denn wirklich alles verloren?
    »Soviel ich weiß«, sagte ich und machte eine bedeutungsvolle Pause. »Soviel ich weiß, kann die Messe auch noch auf Latein gefeiert werden. Vielleicht muss man da mal mit dem Kreuzkamp reden. Und mit dem Neuen, dem Kaplan, dem Vogel.«
    »Dä Vogel, nie em Läwe mät da dat op Lating.« Ereiferte sich die Tante. »Dä hätt jo direk am nächste Tach ne Tisch rangeschleef, Deschdooch drop, un hätt jesät, dat wör dä neue Altar. Un weiß de wat?« Die Tante schüttelte sich, als hielte man ihr einen stinkenden Fisch unter die Nase. »Weiß de wat dä am Sonndach jesät hätt? Wie dä die Messe anjefangen hätt? ›Tach zesamme‹, hätt dä jesät. Tach zesamme! Met däm Rücken zum Kreuz. Dä driht dem leewe Jott dä Rögge zo. 51 «
    »Tach zesamme?«, wiederholte ich perplex. Das war allerdings ein starkes Stück. Ich sah die Mutter an. Die sah in den Schoß, als hätte sie etwas ausgefressen, als hätte sie es verbrochen, dieses Tach zesamme, und sie wurde sogar etwas rot.
    Hanni blies die Backen auf. »Waröm dann nit?«, gab sie trotzig zurück. »Waröm soll dä dann nit jröße? Un überhaupt: Latein oder Hochdeutsch. Ob de jetzt ›Pater noster‹ sachst oder ›Vater unser‹: Wenn dä liebe Jott disch verstehen will, dann versteht der disch sojar op Platt.«
    Auch Hanni musste ich recht geben. Was spielte es für eine Rolle, ob Kreuzkamp die Gläubigen ins Auge fasste oder den
Altar, Pater noster betete oder Vater unser: Ohne einen Platz im Herzen der Menschen war Gott im höchsten Dom und im reinsten Latein heimatlos, ein Niemand. Ich verstand die lingua Dei, die Sprache Gottes, Gott verstand ich nicht mehr.
    »Das sind nur so Übertreibungen. Am Anfang«, hatte ich zu schlichten versucht. »Das spielt sich schon noch ein. Wir haben ja jetzt auch ein Wörtchen mehr mitzureden als vorher.« Und für die Tante noch hinzugefügt: »Jetzt kannst du auch mal vorn am Altar stehen und eine Lesung abhalten.«
    »Wat? Och dat noch!«, entrüstete sie sich . » Dat solle die unger sesch usmache. Es doch klor, wer sesch do als widder opspellt 52 .«
    »Jo«, sekundierte die Mutter. Dass sogar sie der Schwester zustimmte, unterstrich ihren Abscheu. »Dat es widder jet für die do owwe! Isch seh se schon do stonn, em Pelzjäcksche un Hötsche!«
    »Waröm soll dä liebe Jott denn keine Spaß an nem neue Kostümsche vor dem Altar haben?«, stichelte Hanni. »Wat Hilla?«
    »Jo, dä Vogel!«, giftete die Tante. »Dä lööf jo jitz sujar em Hemd eröm!«
    »Waröm dann nit?«, gab Hanni mutwillig zurück. »Immer dat schwazze Zeusch un dat steife Kräjelsche. Hä es doch ne staatse Kääl!«, lenkte dann aber nach einem Blick auf die sich ins Pupurne verfärbende Mutter ein. »Jut, dat die Oma dat nit mehr mitkrischt.«
    Tatsächlich hatte ich die Großmutter kaum eimal in der Pfarrkirche gesehen. Die Messe feierte sie werktags wie sonntags im Kapellchen, wo Pater Alerich, wenn er das Konzil überhaupt zur Kenntnis nahm, nichts davon in seinem Reich umsetzte. Er blieb, so, wie der Bruder und die beiden anderen Messdiener, bei seinem routiniert genuschelten Latein und wandte den Nonnen und der Großmutter auch

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