Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
Vom Netzwerk:
Gesicht vom Enkelchen im Gesicht von Oma und Opa. Wer fidel ist, der ist sich auch selbst treu.«
    »Un sterben?«, fragte die Mutter begierig. »Wenn die Wörter alt werden können, können se auch sterben?«
    »Und ob«, sagte ich. »Wir haben vor tausend Jahren ganz anders gesprochen als heute. Da …«
    Rudi hatte Radio Luxemburg gefunden, drehte auf, zog Hanni vom Stuhl hoch und machte mit ihr ein paar Tanzschritte durchs Zimmer.
    Einfach die Bücher weglegen, die Wissenschaft, einfach wegspazieren von stud. phil., und der pathetische Held ist unbedingt, in die Arme eines Rudi oder Hansi oder Toni. In Katalogen blättern und in Rezeptheften, Windeln wechseln und Hemden bügeln, mich zurechtmachen, zurechtlegen, pflegen und hegen, ein Kind und noch eines mit Peter oder Heribert. Godehard. Meine kleine Frau. Beneidete ich Hanni? Um die kleine Wölbung unterm Sommerrock, ihre braungebrannten Beine, die den sicheren Schritten Rudis folgten? Um ihren sicheren Platz im Leben? Ganz so, wie die blonde Kommilitonin? Beide waren zufrieden, da, wo sie waren. So, wie sie waren.

    Ich hatte wählen können. Die Cousinen nicht. Wählen können, ablehnen und annehmen können. Das war Freiheit. Die Freiheit der Entscheidung. Und damit auch Verzicht. Ich hatte gewählt.
    »Taxi nach Texas zu Bill«, hürdenflink hüpfte Martin Lauers Stimme über einen Ton nach dem anderen.
    »Ich muss noch mal auf die Weide. Viel Vergnügen, die Damen!« Rudi ließ Hanni los und verschwand so plötzlich, wie er gekommen war.
    »Wer soll das bezahlen«, pfiff es von der Treppe zu uns herauf, »wer hat so viel Geld?« Dann schlug die Haustür zu.
    »Dämlack«, knurrte die Tante hinter ihm her, zog die Lippen über die Zähne und ließ sie knallend auseinanderplatzen. »Schluss jetzt.« Sie schob den Kuchenteller zurück. »Hanni räum ab. Mach dat Radio aus. Mir müsse uns konzentriere.«
    Ein Gefühl der Erwartung wehte über den Tisch, während die Tochter folgsam die Teller wegtrug. Wie sie so dasaßen, in ihren Ausgehblusen und Ausgehröcken und die hausfrisierten Köpfe zusammensteckten, hätte ich es nicht über die Lippen gebracht: Ich will nach Köln ziehen. Es wäre mir vorgekommen wie Verrat.
    »Hier bei uns is et doch auch schön«, sagte Maria, als hätte sie meine Gedanken erraten, und Hänsjen bekräftigte ihre Worte mit einem kunstvollen Triller.
     
    Unterwäsche zuerst. So war es beim Wäschemann gewesen. Unterhosen und Unterhemden für Sie und Ihn. Dann die Kittel. Als Krönung die Nachthemden. Und alle zwei Jahre für die Tante ein Korsett. Damals. Der Katalog bot weitaus mehr. Doch die Reihenfolge hatte Bestand.
    »Damen, Damen«, die Tante fuhr mit dem Zeigefinger das Inhaltsverzeichnis entlang. Eine große rote Hand mit dicken blauen Adern, immer feucht und glänzend, als käme sie gerade aus dem Putzeimer.
    »Hier«, die Tante bohrte die Fingerkuppe ins Papier, klappte den Katalog zu, schob den Finger zwischen die Seiten und
schnellte sie auseinander. »Modische Neuheit!«, triumphierte sie. »Helanca Schlankform Schlüpfer!« Die Tante schürzte anerkennend die Lippen, stürzte sich in ihre Trikotagenlitanei wie der Pastor ins Halleluja, schlüpfte in eine Unterhose nach der anderen und wieder hinaus, es flutschte nur so durch Angora, Perlon und Velours mit echtem Drall und ohne. Und dann gab es Unterhosen, die hießen slip.
    »Slip, slip, slip«, die Tante schnalzte verächtlich mit der Zunge. »Et is un bliev en Ungerbotz.«
    »Eine Unterhose!« Die Mutter warf einen raschen Blick in meine Richtung.
    »En Ungerbotz«, wiederholte die Tante ungehalten. »Dat Hilla wird jo wohl noch wesse, wat en Ungerbotz es!«
    »Schlüpfer«, suchte Hanni zu vermitteln.
    »Jo, dat sinn isch, dat dat ene Schlüpfer es«, ereiferte sich die Tante. »Ävver wat soll dat englische Zeusch? Nit nur, dat se im Radio alle naselang englische Lieder spelle. Jitz dun se dat Englische auch noch in dä Katalog!«
    »Muss de doch zujeben«, Hanni hatte Feuer gefangen, »is doch janz was anderes um dä Bauch erum, so ne slip. Ne Unter-ho-se macht jenau viermal so dick!«
    »So wat wär beim Wäschemann nit passiert!« Die Tante hob die Stimme. »Wolle mir doch mal kucken, ob mir noch mehr Englisches finden! Un von de Römer kütt dä slip bestemp nit!«
    »Vielleicht hatten die ne slippus?« Hanni zwinkerte mir zu. Ich zuckte die Achseln. Hoffentlich fragte die Tante jetzt nicht nach antiker Unterwäsche. Trugen Römer Unterhosen? Keine Ahnung.

Weitere Kostenlose Bücher