Aufbruch - Roman
Bertram vielleicht.
Doch die Tante hatte ihre Lust auf Latein fürs Erste verloren und stob mit nassgelecktem Finger durch die Seiten auf der Jagd nach englischen Wörtern.
»Hier: Girl Mode. Gierl! Dat soll wohl e Wiew sin. Ein Mädsche. Un hier, wat soll dat?« Die Stimme der Tante wurde schriller: »Sub-tehn-gierlmode! Hilla, wat soll dat?«
»Sabtiehn görl mode«, deklamierte ich.
»Wieso saptiehn? Hier steht subtehn und hier steht Gierl und nicht Göhrl«, fiel mir die Tante ins Wort.
»Das ist Englisch«, sagte ich im höchsten Hochdeutsch. »Die sprechen anders, als sie schreiben.«
»Jonge, Jong, da lob isch mir widder de Römer. Die kalle wie mir!«, entrüstete sich die Tante.
»Ävver, Berta, dat wisse mir doch«, beifallheischend sah die Mutter mich, verächtlich die Schwester an. »Dörbritsch«, sagte die Mutter. »Der schreibt sisch ja auch janz anders. Durbritge oder so ähnlich heißt der auf Deutsch. Rischtisch?« Die Mutter blickte siegessicher in die Runde. Von der Art und Weise, wie Francis Durbridge ihr die Schlechtigkeit der Welt im Fernsehen vor Augen führte, war sie seit Das Halstuch hellauf begeistert. »So sind se, die Männer, so sind se«, hatte sie hervorgestoßen und den Vater angesehen, als ziehe der gleich einen Strumpf zwecks Erdrosselung aus der Hosentasche. Ich hatte ihr damals den Namen des Autors vorgesprochen, und sie hatte auf meine Belehrung ähnlich wie die Tante reagiert. Ähnlich wie ich vor Jahren, als mir das Fräulein Funke mit pin und pig, kind und mind das Universum der englischen Lautung erschlossen hatte. Auch ich hatte diese Willkür als Zumutung empfunden und mich empört wie die Frauen hier an Marias Kaffeetisch.
Die Tante war nun nicht mehr zu halten. »Hier, die schöne Kleider! Un wie heißen die? Ladi lieke! Oder is dat auch schon widder nit rischtisch?«
»Nä«, sagte ich. »Dat heißt Lädi laik.«
»Lädi laik!« Die Tante klatschte auf den Katalog, dass die Damen in ihren eleganten Couplets aufflatterten. »Se bliewe jo doch bei Jröße fünfzisch, lädi laik. Un wat heißt dat?«, fragte sie mit einer Stimme, als erkundige sie sich nach dem Preis einer Ware, argwöhnend, dass der zu hoch für sie sei.
»Damenhaft«, sagte ich und musterte die dicklichen Frauen in ihren, wie es hieß, »figurumschmeichelnden« Kleidungsstücken.
Angesteckt von der Schwester wollte nun auch die Mutter ihren Spürsinn unter Beweis stellen. »Mach uns doch noch ene
Kaffe, Berta«, sagte sie schlau und zog den Katalog an sich, während die Tante nach unten in die Küche ging.
»Hier«, die Mutter bohrte den Finger unter das Wort: »Summertiehme. Summer? Meint dat Sommer? Sieht ja janz danach aus!« Junge Mädchen, die nackten Füße im Sand vergraben, mit dünnen Zöpfchen oder Pferdeschwänzen, die Röcke der rosa, blauen oder großblumig gemusterten Kleider zwei Handbreit überm Knie.
»Taim«, seufzte ich. »Nicht tiehme. Taim. Und das heißt Zeit. Und nicht summer, sondern ssammer.«
Die Frauen saßen stumm. Hänsjen tat seinen Zwitscher dazu. Draußen klapperte die Tante mit den Schranktüren, und ich dachte an eine Englischstunde: »ghos« hatte da an der Tafel gestanden und sollte fish bedeuten: gh wie f aus cough, o wie i aus women, s wie sh aus sugar. Ghos: zu lesen als fish. So was konnte auch nur einem bissigen Dichter einfallen, George Bernard Shaw.
»Aber so Litzen, die sin und bleiben doch schön«, wies die Mutter verträumt auf ein Dirndl, »Traunstein«, mit »reichem Besatz«. »Litzen. Dat haben die Engländer doch nit. Oder?«
Hanni zog den Katalog an sich. »Nu jib mal her. Der Rudi braucht ne neue Mantel. Warm co-ats«, las sie vor. »Dat soll wohl warme Mäntel heißen. Wat anderes zeigen die ja hier nit. Aber warum schreiben die dann nit warme Mäntel? Warm co ats …« Hanni lauschte den Silben hinterher.
»Worm couz«, versuchte ich mich den Dondorfer Ohren anzunähern.
»Worm couz«, echote Hanni.
»Worm couz«, bestätigte ich.
»Worm couz«, probierte die Mutter, und schließlich nahm auch Maria ihre ersten englischen Wörter in den Mund: »Worm couz.«
»Worm couz«, Hanni erhob ihre Stimme aus dem Gemurmel. »Dat hört sich wirklisch anders an wie warme Mäntel. Irgendwie nit so steif, nit so nach Opa. Irgendwie zehn Jahre jünger hört sisch dat an: worm couz. Aber Sommerzeit - dat is doch jenauso
schön wie ssammertaim. Un bei görl bin isch mir nit so sicher. Wat meins du, Hilla?«
»Kokolores!« Die Tante stellte
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