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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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braucht: eine Sparkasse, eine größere Post, mehrstöckige Wohnhäuser. Ein Geschäft für Teppichböden. Eine zweite Apotheke. Den Mini-Markt.
    Vorbei an der neuen evangelischen Volksschule fuhr ich, die auf Gemüsegärten neben der katholischen Schule gebaut worden war. Das helle luftige Gebäude mit den großen Fenstern ließ den roten Backsteinbau ernst und streng erscheinen, Sinnbild einer Pädagogik vergangener Zeit.
    Junge Ebereschen, zum aufrechten Wuchs noch von starken Seilen an Pfähle geschnürt, trennten die Bürgersteige von der Fahrbahn. Ersetzt worden waren auch die alten Laternen, Glühbirnen in Porzellanschalen an dicken schwarzen Kabeln, die sich hohe Holzmasten hinaufwanden. Neonleuchten bogen sich mit modernem Schwung zwischen den Eschen über den Gehweg bis weit in die Straße.
    Kurz vor der Kolonie, wo ich vor Jahren Sigismunds erleuchtete Fenster angeschmachtet hatte, bog ich rechts ab in die Straße zu Maria.
    Noch keine fünf Jahre war es her, dass Rudi hier gebaut hatte. Erst sparsam doppelstöckig, das Obergeschoss für die Eltern Hannis. Inzwischen hatte er angebaut, ein Doppelhaus: eine Hälfte für sich und Hanni, die andere für die Schwiegereltern. Damals hatte man ihn insgeheim belächelt - sich so einfach in
die Wildnis, zwischen Brach- und Ackerland zu setzen. Jetzt lag das Haus in einer Reihe ähnlicher Bauten, die in ihren Vorgärten steckten wie in Blumentöpfen. Der Schotter war asphaltiert und verbreitert, die Bürgersteige gepflastert worden, und die Vorgärten kehrten das Innere der Häuser gleichsam nach außen mit ihrer aufgeräumten Akkuratesse, ihrem gleichförmigen, pflegeleichten Inventar, als stammte jeder Strauch, jede Staude, jedes Rasenstück, jeder Zwerg, jedes Teichlein, jedes Windmühlchen von ein und demselben Lieferanten.
    Alle Fenster standen offen, Liedfetzen wehten mir hinterher, verbanden sich zu ein und derselben Melodie von Hausnummer 3 bis Nummer 9, dann machte schepperndes Gerassel der kecken Mädchenstimme mit dem drolligen Akzent ein Ende. Ein Mähdrescher quälte sich die leicht ansteigende Straße hinauf, wo der Asphalt in Schotter, der Schotter in Sand und Kies, in bröckligen Feldweg überging. Bis an den Krawatter Busch lagen die Äcker, die noch nicht als Bauland ausgewiesen waren, bleich und verschwommen in der Sonne. Dunkle Abgaswolken ausstoßend, schwankte und stampfte das haushohe Fahrzeug an mir vorüber, bog dann rechts in die Roggenfelder, die in der staubigen Hitze erstickten.
    Helle und dumpfere Schläge, mal auf Holz, mal auf Metall, klangen vom Rohbau der katholischen Kirche herüber. Mit den Einwohnern Dondorfs war die Zahl der Katholiken gewachsen, auch durch die Flüchtlinge. Müppen nannte sie nach fast zwanzig Jahren keiner mehr. An manchen Sonntagen, besonders Ostern und Weihnachten, gab es in der Georgskirche kaum noch Stehplätze.
    Dem schmucklosen Rechteck des Neubaus war ein kompakt gemauertes Quadrat vorangestellt, eine Kreuzung aus Schornstein und Hungerturm, Platz für die Glocken.
    »Zeerst machten se dat Lating fott un den Altar verkehrt eröm, un jitz solle mir in nem Kohstall bäde!«, ereiferten sich nicht nur die Mutter und Tante Berta. Allen voran die Großmutter sah in der strengen Form nichts als Lieblosigkeit und Verrohung,
Symbol für den Zustand der Kirche und scheute sich nicht, bei jedem Gewitter um göttlichen Beistand zu beten, der mit Blitz und Feuer zwischen die Sparren fahren würde. Dabei wusste sie noch nicht einmal, dass in diesem Gotteshaus der Altar, von Anbeginn der Gemeinde zugewandt, festgemauert war. Gott aber schien das Werk zu gefallen; Richtfest in zwei Wochen, das Dach noch vor der Winterpause gedeckt.
     
    Sah man nur auf den Vorgarten, vermittelte das Doppelhaus, in dem Tante Berta, Onkel Schäng und Maria in der einen, Hanni und Rudi in der anderen Hälfte wohnten, den Eindruck vollkommener Symmetrie: zwei gleich große Rechtecke, umgeben von gestutztem Wacholder, Flieder und zwei Rasenflächen, in deren Mitte kleine Teiche, zweimal zwei angelnde Zwerge.
    Die Haushälften aber hatten mit den Abmessungen der Gartenstücke nichts zu schaffen. Zwar führte auf beiden Seiten des Gebäudes je ein Weg zur Haustür, doch war die rechte, die Hälfte von Hanni und Rudi, doppelt so groß wie die der Tante. Dies stellte schon nach außen die Verhältnisse klar, mochten sich die Zwerge noch so sehr bemühen, ihr Lächeln freundlich zu vereinen.
     
    Maria am Fenster schützte ihre Augen mit einer

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