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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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den Mann daneben, den Vater und mich, und wie ich näherrücken würde, ganz nah, auf das Tuch und über das Tuch hinweg, bis mein Blusenärmel seinen Mantelärmel berühren würde.
    »Hilla!« Ein Junge in kurzen Hosen und kariertem Hemd kam, mühsam rechts und links von sich ein Fahrrad bugsierend, näher. Der Bruder. Ein ums andere Mal meinen Namen rufend, spähte er nach mir umher.
    »Hier bin ich.« Ich sprang auf und lief ihm entgegen, wollte nicht, dass Bertram diesen Platz entdeckte, als könne der Baumstumpf mich und den Vater verraten.
    »Was machst du denn hier?« Die Stimme des Bruders klang ärgerlich und besorgt. »Ich hab dein Fahrrad gefunden und du warst weg. Ist es wegen Köln?«
    Wie er so dastand zwischen unseren Rädern, die Beine in den sandigen Pfad gestemmt, die Augen auf die Klingel mit dem jesusbewehrten Christophorus gerichtet, was ging mich da meine Kapsel an, die Nacht auf der Lichtung und die Wörter dafür, was Hildegard von Bingen und ihre Provokationen?
    »Isch möösch ze Foß noh Kölle jonn! Jehs de met?« Ich ergriff mein Fahrrad. »Danke, Bertram. Du hast recht. Ich bin wirklich ganz schön durcheinander. Was hältst du denn davon?«
    Bertram, der schon in die Pedale stieg, sprang noch einmal ab und legte seine Hand auf meine Lenkstange. »Ich find es schade, wenn du weggehst.« Bertram hatte den Stimmbruch hinter sich. Wenn er aufgeregt war, schlug die Stimme gelegentlich noch in hohe Töne um. »Schade. Ja. Aber für dich sicher besser. Nicht nur wegen der Fahrerei.«
    »Jo, Jong«, sagte ich im breitesten Kölsch. »Jo, do mös de rät han! Do küs de mesch och ens besöke.«
    Bertram grinste. »Amo, amas, amat! Denk an dä Willsteen«, schubste er mich sanft beiseite, »lass mich mal vorbei.« Schwang
sich auf sein Fahrrad, und ich rief ihm mein »amamus, amatis, amant« in das Schrillen seiner Christophorusklingel hinterher.
     
    »Kuck mal unter deine Pflanzenbüscher, wenn de nach Haus kommst.«
    Der Vater wartete vorm Nebeneingang der Kirche auf mich. Heute hatte ich im Hochamt sogar das Schlusslied mitgesungen. Gott behielt mich anscheinend doch noch im Auge.
    »Da liescht wat für disch.« Der Vater musterte mich, als prüfe er mit einem schnellen Blick über den Zaun Baumblüte oder Ernteaussichten in fremden Gärten und wandte sich ohne ein weiteres Wort ab; ging davon mit seinem schwerem Fuß, dem Rhein entgegen. Ich rannte nach Hause, stürzte in den Holzstall, und da lag es tatsächlich unter Welcher Stein ist das? . Das Sparbuch der Kreissparkasse Dondorf. Hildegard Palm. Einzahlung: 1000,- DM.
    Vor der Nacht auf der Lichtung, was wäre mir nicht alles eingefallen zu kaufen mit diesem Geld. Doch nicht nur die Lichtung hatte mir die Lust an Dingen, die den Körper schmücken, verdorben. Nun, da mir das Sparbuch die Möglichkeit gab, Geld in Gewünschtes zu verwandeln, merkte ich, dass die Möglichkeit der Erfüllung einer Erfüllung selbst schon sehr nahekam. Ich sehnte mich nicht mehr. Die Gewissheit der Erfüllbarkeit löschte die Sehnsucht und - fast - sogar das Begehren.
    Das Mittagessen verlief in gewohnter Schweigsamkeit. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. Die Großmutter warf dem Vater giftige Blicke zu, die der nicht zu bemerken schien. Die Mutter versuchte, ein Gespräch mit dem Bruder anzufangen, und ich hoffte auf ein Zeichen vom Vater. Vergeblich. Ich fühlte mich wie ein Doppelagent. Im Teller schwammen Buchstabennudeln. D-a-n-k-e hätte ich gern zusammengefischt.
    Schließlich, beim Birnenkompott mit extra viel Zimt, wie es der Vater liebte, rückte die Großmutter mit der Neuigkeit heraus. Schickte Kreuzkamp vor, rief Mickel zur Verstärkung an
und hätte sich wohl nicht gescheut, Gott selbst als Makler einer Studentenbude in Köln zu reklamieren. Während ich freudige Überraschung heuchelte, knurrte der Vater nur: »Von mir us!«, schlürfte den Saft aus dem Schälchen, schob den Stuhl zurück und machte die Tür hinter sich zu. Der Bruder gab mir einen ermunternden Rippenstoß und die Mutter, seit dem Nachmittag bei Maria ahnend, dass Protest vergeblich sei, begnügte sich mit einem ergebenen Ein- und Ausatmen.
     
    Im Holzstall zog ich zwei DIN-A4-Bögen hervor, versah den einen mit waagerechten Linien und schob ihn unter den zweiten. Schrieb Ort und Datum und malte in schönster Schrift »Sehr geehrter Herr Bürgermeister«. Direkt über die lochgemusterten Schuhe, malte ich den Sehr geehrten Herrn Bürgermeister und dachte: Blödmann.

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