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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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»Hiermit bitte ich Sie«, schrieb ich und dachte: Leck mich. Schrieb von meiner begabten Tochter und der Vorsorge des Pastors für ein wohlanständiges Haus, schrieb, wie vor Jahren Stüssgens Franz, der den Brief für mein Schulgeld aufgesetzt hatte. Unterzeichnete, den kindlich ungelenken Schriftzug des Vaters auf meinen Schulzeugnissen vor Augen: Hochachtungsvoll Josef Palm.
    Wie viel leichter es ist zu bitten, wenn man schon etwas hat. Fast ein Spiel. Als Adresse gab ich das Hildegard-Kolleg an.
    Der Antrag wurde bewilligt. Zwanzig Mark zusätzlich. Und ich sagte: Danke. Kalt bis ins Herz.

    Wenig hatte sich bei Maternus verändert. Die Halle war frisch gestrichen, lindgrün, wir trugen nun lindgrüne Kittel am lindgrünen Band. Doch wie anders als sonst steckte ich meine Karte in die Stechuhr, wie mühelos flogen die Pillen in die Schachteln. Und wie anders sah ich die Frauen hier nun an.
Und die Männer. Die erst recht. Ich konnte ihnen wieder ins Gesicht sehen. Zu meiner Kapsel war ein Panzer aus tausend Mark gekommen. Weil ich wollte, saß ich hier, nicht weil ich musste. Auf meinem Sparbuch vier Monatslöhne. Wenn ich wollte, konnte ich aufstehen und gehen. Also konnte ich auch sitzen bleiben und so tun, als müsste ich sitzen bleiben. Ich fühlte mich stark, sicher und frei. Beinah wie vor der Nacht auf der Lichtung. Stöhnten die Frauen über Hitze, Staub, die schlechte Luft, stellte ich mir in allen Einzelheiten mein Sparbuch vor. Jede einzelne Null.
    »Man könnt ja meinen, du wärst verliebt«, sagte Lore in der Pause zu mir. »Wie damals in dä Sigismund.«
    »Sigismund?«
    »Na, jlaubst du denn, mir hätten dat nit jemerkt?«, mischte sich Traudchen ein. »Dä Peter war doch nix für disch.«
    »Aber dä Sijismund erst rescht nit!« Lore biss in ihr Brot, als wolle sie den Verurteilten verschlingen.
    »Ihr habt beide recht«, lachte ich und nahm einen Schluck Cola, die ich mir heute Morgen zum Erstaunen aller geleistet hatte, sonst trank ich nur Wasser aus der Leitung. Ich hätte mir gern auch an den folgenden Tagen eine gekauft, beschloss aber angesichts der Blicke, mich wieder aus dem Wasserhahn zu bedienen. Wie sehr unterschied sich der freiwillige Verzicht vom erzwungenen.
    »Jo, nun sach doch schon«, drängelte Traudchen. »Wer is denn dä Jlöcklische?«
    Der Glückliche? Ich war die Glückliche. Widerstrebend musste ich mir eingestehen: Geld macht glücklich.
    Gern hätte ich mein Glück geteilt, mitgeteilt. Wäre zum Automaten gegangen, hätte gerufen: Eine Cola, eine Limo für alle, und einen Fünfziger nach dem anderen in den Schlitz gesteckt. Doch schon die Blicke auf meine Cola hatten mir gezeigt: Mit Geld ist es wie mit der Liebe - beides hängt man nicht an die große Glocke. Eine verzauberte Prinzessin war ich, äußerlich arm und gebunden wie alle, aber reich und frei. Eintausend
Demark. Und es herrscht der Erde Gott, das Geld. Auch das mein Schiller.
    Widerwillig musste ich mir eingestehen, dass die Flucht ins Reich der Phantasie doch immer eine Flucht bleibt. Dass das Reich der Freiheit im Geiste doch immer nur Asyl ist, das nach Heimat begehrt, nach Erdung in der Wirklichkeit. Ich nahm das Wort »glücklich« fürs Geld zurück. Glücklich hatten mich die Dichter gemacht, ihre Worte - vor der Nacht auf der Lichtung. Doch mein Tausender verlieh mir einen Hauch jener Selbstsicherheit, jener Lebensgewissheit, die die Kluft zu der blonden braungebrannten Kommilitonin wenn nicht schloss, so doch verringerte. Und auch hier, im Kreis der Frauen, fühlte ich mich wohler denn je. Meine Nähe zu ihnen war nicht mehr erzwungen, sie war freiwillig.
    Freiwillig - das war das Zauberwort. Geld macht freiwillig. Ich tat nichts anderes als früher, aber: Ich tat es, weil ich es wollte. Der Unterschied war gewaltig. Er hieß Geld. Geld, das ich hatte und nicht verdienen musste . Geldverdienen, beinah ein Spiel.
    Das Gefühl, auf Zehenspitzen durch die Fabrik zu schweben, hielt an, bis ich Lore und Traudchen in der Pause überhörte. Ich hatte das Band gleich nach dem Klingelzeichen verlassen, um mir draußen einen Platz im Schatten des Rhododendrons zu sichern.
    »Wo bleibt se denn?«, fragte Traudchen zwischen zwei Happen, und ich wollte schon aus meinem Versteck heraus, als ich meinen Namen hörte.
    »Dat Hilla«, so Lore, »is ja wirklisch e lecker Mädsche.« Etwas Hartes wurde an die Bank geklopft, splitterte, krachte: Lore aß ein Ei.
    »Jo«, stimmte Traudchens fistelnder Sopran zu. »Un jar

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