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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Schwur getan hatte.
    Kreuzkamp straffte sich und lächelte mich an: »In den Büchern dieser Welt ist das allerdings einfacher. Die verstehen wir zu lesen, was, Hildegard?«

    »Also«, ich zog die Silben so lange auseinander, bis ich mir meine Frage treffsicher zugespitzt hatte. »Also, Maria siegt doch im Marmorbild nur auf den ersten Blick über die Venus. Der ganze Frühling, alles Blühen und Verlocken zeigt die Herrschaft der heidnischen Göttin. Jedes Jahr kommt die Venus wieder. Eine ununterbrochene Verführung, weg von der christlichen Madonna.«
    »Richtig!« Kreuzkamp atmete hörbar aus, erfreut, dass ich sein Stichwort aufgegriffen hatte. »Aber prinzipiell hat Maria gesiegt.«
    »Doch Venus verlockt immer wieder«, beharrte ich.
    »Ja, aber man muss ihr nicht erliegen. Schönheit muss nicht als Blendwerk dienen. Sie ist Schöpfung Gottes.«
    »Aber woran erkenne ich den Unterschied zwischen Blendwerk und Schöpfung?«
    »An dem Sinn, den ein Kunstwerk über die Form hinaus vermittelt.«
    »Sinn und Form fallen im Kunstwerk zusammen«, gab ich naseweis zurück.
    »Eine vollendete Form ist nie Unsinn«, parierte Kreuzkamp.
    »Was ist Vollendung?«
    »Erreichen wir nie, können wir aber erstreben.«
    Fragen und Antworten einander wie Bälle zuwerfend und auffangend, damit jonglierend, sie zurückschmetternd oder verfehlend, fühlten wir uns beide wohl. Was wir einander mitteilten, war mehr als Konversation und weniger als Offenbarung. Wer von Dichtung redet, gibt immer etwas von sich preis, auch wenn es nur um Motive und Strukturen geht. Der Gegenstand steht als sichere Deckung zwischen den Redenden und ermöglicht ihnen, mit einer Offenheit über sich selbst zu reden, die sie im direkten Gespräch nie wagen würden. Ich wusste um diese Verlockung und hielt mich strikt ans Ausgedruckte, ans Objektive, erprobte an Kreuzkamp meine Seminarweisheiten, klärte ihn auf über sämtliche »Funktionen des Liedes im Marmorbild« , was ihn zu unwilligem Schnaufern brachte und der Frage, wozu das alles gut sei.

    Ja, wozu eigentlich? Um dem Herzen der Dichtung auszuweichen, ihren Herzschlag nicht zu spüren, ihr lebendiges Blut, das mich selbst beleben könnte, hätte ich antworten müssen. Aber der Schluckauf saß schon in der Kehle, und so sagte ich nur kurz angebunden: »Proseminar. War in der Klausur mein Thema.«
    »Ach, Hildegard.« Kreuzkamp legte mir wieder die Hand auf die Schulter. Wir waren jetzt fast am Kirchhang angelangt, wo unsere Wege sich trennten. Sachte drehte er mich zu sich, bis wir uns Auge in Auge gegenüberstanden: »Versprich mir, dass du nie vergisst, zwischen den Zeilen zu lesen. Da steht geschrieben, was der liebe Gott … Ach was. Lies mit deiner Phantasie. Mit deinem Gewissen. Und vergiss die Postkarten nicht. Versprochen?«
    Ich war schon ein paar Schritte voran, da tippte es mir von hinten auf die Schulter. Kreuzkamp hielt mir ein Päckchen entgegen. »Gegen Schluckauf aller Art«, lächelte er. Seine Schokolade. Schwarzbitter.

    Die Bettwäsche lag bereit, rot-weiß gewürfelt, wie neu, hatte Botts Zilli gesagt, als sie die Garnitur aus ihrem Schaufenster nahm; der Bezug nach dem heißen Sommer ein bisschen vergilbt, halber Preis. Dazu schenkte sie mir eine Packung Haferflocken. »Muss de mit Milch essen, dat is jut für et Jehirn.« Zilli bohrte ihren Blick in meine Stirn, als könne sie die erste stärkende Portion dort telepathisch verankern.
    Die Bettwäsche lag bereit und daneben die Unterwäsche, die besten Stücke, zum ein Mal Wechseln, samstags würde ich die alte Wäsche zu Hause abliefern und neue mitnehmen, würde mit dem Koffer vor der Tür stehen wie vor Jahren der Wäschemann.
    Von allen Seiten flogen mir Geschenke zu. Tante Berta brachte eine Wärmflasche, »du hast doch immer kalte Füß«. Warum
sollte ich ihr sagen, dass es im Hildegard-Kolleg Zentralheizung gab? Für jedes Zimmer, auch für meines, für den Flur und die Halle, das ganze Haus ein Hort kostenloser Wärme. Und Wasserhähne für warm und kalt, rund um die Uhr, das hatte nicht mal die Tante mit ihrem Durchlauferhitzer.
    »Dat is aber nett von dir, dat de daran jedacht hast«, ich hielt mir das kalte rote Gummirechteck vor den Bauch, »dat kann isch sischer jut jebrauchen.« Freigiebig bedachte ich die Tante mit dem Anblick meiner neuen Zähne.
    »Siehs de, Maria«, triumphierte die Tante, zur Mutter gewandt. »Sach isch doch, et kann et jebrauchen. Un hier hast de noch wat.« Die Tante hob ein Glas Gurken

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