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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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kein Telefon.« Ihre Stimme klang aufgebracht, aber auch nachsichtig,
verächtlich, als fühlte sie sich dem Mann mit dem Schild unendlich überlegen, sozusagen von Natur aus, wie eine, die das Leben kennt, nicht nur von Zettelchen.
    Auf dem Weg zum Dom kamen uns Gestalten entgegen, die bis über den Kopf in Werbetrommeln steckten, eine Vierergruppe, die behauptete: »Troll scheuert und erneuert.« Mit wehendem Schleier ratterte eine Nonne auf einem Moped an uns vorbei. Bertram grinste. »Schad, dass ich keinen Photoapparat bei mir hab. Die wär was für die Oma!«
    Wind vom Rhein blies uns ins Gesicht, wirbelte um die Mauern des Doms. »Weißt du noch«, sagte Bertram, »früher dachten wir immer, das ist der Heilige Geist, der Wind, der heult, weil wir nit brav waren.«
    »Und die Tauben hätte uns der Heilige Geist geschickt, sozusagen als Pfingstgruß«, ergänzte ich.
    »Jedes dritte Los jewinnt!«, schrie ein Losverkäufer der Dombaulotterie, und sein Nebenmann übertrumpfte ihn: »Jottes Segen auf jedem Los!«
    Der Wind trieb mir Tränen in die Augen. Ich hielt Bertram mit dem Koffer das Domportal auf.
    Vor der Schmuckmadonna nickte er mir aufmunternd zu und zündete zwei Kerzen an. Ich begnügte mich mit einer, rasselte ein GegrüßetseistduMaria herunter und folgte dem Bruder, der beim heiligen Antonius einen Groschen aus der Hosentasche fischte.
    Die Orgel setzte ein. Mächtige Akkorde. »Siehst du«, flüsterte Bertram, »der liebe Gott höchstpersönlich bringt dir ein Ständchen.«
    »Komm, weg hier«, ergriff ich seinen Arm, als ich merkte, dass er sich setzen und zuhören wollte, und wiederholte schroff: »Komm. Bloß raus hier!« Ließ den verdutzten Bruder stehen und machte lange Schritte zum Portal.
    Mit der Straßenbahn fuhren wir bis zum Neumarkt und erreichten bald den viergeschossigen, grauen Neubau.
    »Kaserne«, entschied Bertram.

    Ich musste ihm recht geben. Zur Kaserne passte die unbehagliche Empfangshalle, passten die vier kantigen schwarzen Ledersessel, der quadratische Glastisch, die Zimmerlinde in der Ecke. Passte der Kommandoton, mit dem uns die Frau an der Pforte empfing. Niemand konnte dieses Haus verlassen, geschweige denn betreten, ohne von ihr einer blitzschnellen Musterung unterzogen zu werden.
    »Das ist sie«, konnte ich Bertram gerade noch zuflüstern, da war sie auch schon heraus aus ihrem Glasverschlag, Fräulein Auguste Oppermann. Eine Person jenseits der besten Jahre, groß, aber nicht dick, von wuchtiger Statur; das melierte Haar straff aus dem noch glatten Gesicht gezogen, im Nacken zum Knoten gebunden. Herbe, männliche Züge, helle Augen, die, selbst wenn sie einen ansahen, stets auf einen fernen Horizont gerichtet schienen. Das Kleid in vielen dünnen Biesen über den flachen Busen gelegt, darüber ein Kruzifix, wie es die Nonnen im Kloster nicht größer trugen.
    »Grüß Gott, das Fräulein Palm«, begrüßte sie mich knapp. »Haben Sie schon erwartet. Und der junge Herr hier …« Fräulein Oppermann ließ den Satz tadelnd ins Leere laufen.
    »Mein, mein Bruder«, beeilte ich mich klarzustellen, stotternd und verärgert über mein Stottern, verärgert, dass dieses Fräulein Oppermann ähnliche Gefühle in mir wachzurufen vermochte wie Frau Wachtel oder Frau Wagenstein, dieses unbestimmte Gefühl, etwas schuldig zu sein.
    »Der Bruder. Aha. Sie kennen aber die Regeln?«
    Bertram hatte sich für unsere Reise seinen einzigen Anzug angezogen. Ein Hemd und die Krawatte vom Vater. Ein junger Mann. So wollte er gesehen werden. Und so sah das Fräulein Oppermann ihn auch. Wobei ihr doch bei allem Misstrauen unsere Ähnlichkeit auffallen musste.
    »Ausnahmsweise«, gab sie nach. »Aber ich gehe mit. Weiß ja nicht jeder, dass es der Bruder ist.«
    Fräulein Oppermann marschierte voran, so wie vor kurzem, als ich mich hier vorgestellt hatte. Da hatte sie mir gleich hinter
der Tür ein schönes, großes Zimmer gezeigt. Die Straßenbahn rumpelte vorbei, Autos holperten über das Katzenkopfpflaster, direkt unterm Fenster. Daran hätte ich mich gewöhnen können. Jedoch: Ein Bett stand an der rechten, ein zweites an der linken Wand.
    »Schönes Zimmer, nicht?«, fragte Fräulein Oppermann damals in einem Ton, der keine Widerrede duldete, und ich darauf, meinen ganzen Mut zusammenfassend: »Nein.«
    »Wie?« Fräulein Oppermann hielt sich etwas vor die Augen, das ich nur aus alten Romanen kannte, ein Lorgnon, und musterte mich wie eine aufgespießte Spinne. »Nein?«, echote sie

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