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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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fest und aufrichtig klingen zu lassen. »Und ich nehme das Fritzchen auch mit nach Köln.«
    »Ausgezeichnet!«, freute sich Kreuzkamp und rieb sich die Hände, als hätte er einem Geizhals eine noble Spende abgeluchst. »Ausgezeichnet. Und jetzt habe ich noch eine Bitte.«
    Wieder machte er eine Pause, und ich dachte, dass unser Gespräch mehr aus Pausen als Wörtern bestand, das Unausgesprochene so vernehmlich wie das gesprochene Wort.
    »Ich habe noch einmal nachgeschaut«, fuhr Kreuzkamp fort, »in Köln gibt es mehr als zweihundertfünfzig Kirchen. Das Hildegard-Kolleg liegt übrigens direkt an der Mauritiuskirche. Tja, der heilige Mauritius. Auch so ein schwarzer Fritz. Steht als wunderschöne Statue im Magdeburger Dom. Aber darum geht es nicht. Ich wünsche mir von dir, dass du jeden Monat eine andere Kirche besuchst und mir von da eine Postkarte schickst.« Kreuzkamp räusperte sich. »Na klar. Kontrolle. Aber ich freu mich auch schon auf deine Post. Nur einen Gruß. Und wenn du willst, kannst du auch jedesmal etwas über die Kirche schreiben. Für unser Georgsblatt . Honorar gibt’s auch. Fünf, äh, zehn Mark pro Artikel. Was meinst du?«

    »Ich, ich«, stotterte ich, »ja, danke. Das mach ich doch gerne.« Ich musste meine Freude nicht heucheln. Bittet, so wird euch gegeben. Biblisch verbürgt. Ich hatte nicht einmal bitten müssen, damit mir gegeben wurde. Jemand klopfte an, und ich musste ihm nur auftun.
    »Genug.« Kreuzkamp blieb stehen. »Ich bin ein alter Mann. Wie du siehst. Kehren wir um.« Er machte eine ausladende Geste und ließ den gestreckten Arm sekundenlang in Richtung der Schafherde hängen, wo der Hund ein Lamm, das sich zu nah ans Wasser gewagt hatte, kläffend in die Herde zurücktrieb.
    Auf dem Rückweg ging es nur noch um mein Studium. Wie in einer Prüfung kam ich mir vor. Doch Kreuzkamps Interesse, vor allem an Eichendorffs Marmorbild, war echt. Mochte er auch nicht mehr gut zu Fuß sein, die Begeisterung, die er allen sichtbaren und unsichtbaren Dingen der Schöpfung seines Herrn entgegenbrachte, war ungebrochen, hatte sich, womöglich im Bewusstsein, wie vieles er in immer kürzerer Zeit mitzuteilen, zu ermahnen, zu schenken hatte, noch gesteigert.
    Als handle es sich um einen nahen Verwandten, schilderte er den Lebensweg des verarmten Joseph von Eichendorff aus Oberschlesien, der zeitlebens um seine Existenz hatte kämpfen müssen, als Beamter in verschiedenen subalternen Positionen, dann unter der Leitung des Freiherrn vom Stein als Regierungsrat ins Kultusministerium in Berlin berufen wurde, wo er für das katholische Kirchen- und Schulwesen tätig war. Bestimmt habe er da, so Kreuzkamp, Auch ich war in Arkadien geschrieben, da gehe es nicht anders zu als heute in der Politik. Vor allem aber gefiel ihm, dass, selbst auf die Gefahr hin, allen Besitz zu verlieren, Eichendorff sich von der Familie nicht zu einer Geldheirat hatte überreden lassen und an seiner armen Luise festhielt. Gar nicht beenden wollte der Geistliche sein Preislied der Ehefreuden zweier römisch-katholisch getrauter Eheleute.
    »Aber im Marmorbild sieht das doch wohl anders aus«, wagte ich schließlich, als Kreuzkamp bei der Taufe des dritten Kindes angekommen war, einzuwenden.

    Wir hielten bei einer Bank, und Kreuzkamp beorderte mich energisch neben sich. Das Marmorbild: Nichts anderes sei das als ein Gleichnis vom verlorenen Sohn. Poesie, Dichtung: die sinnliche Darstellung des Ewigen, des immer und überall Bedeutenden, welches auch jederzeit das Schöne ist. »Du kannst dir vorstellen, was du willst«, so Kreuzkamp, »kannst dir die Wälder und Schlösser ausmalen, wie es dir gefällt. Aber der Sinn des Ganzen liegt nicht beim Menschen. Die Fäden hält der liebe Gott in der Hand.«
    »Oder der Dichter«, wandte ich ein.
    »Ja, und was glaubst du, wer dem die Hand führt?«
    »Die Phantasie.«
    »Und woher hat er die?«
    »Angeboren.«
    »Und wer hat ihm diese ›Angeborene‹ angeboren?«
    Ich schwieg. Vater und Mutter hätte ich sagen können. Aber das Verhör wäre endlos weitergegangen. Mit Recht. Wer wusste schließlich, woher alles kam, vom Embryo bis zum Marmorbild ?
    Kreuzkamp wusste es: »Ohne Gott keine Menschlichkeit, keine Moral, keine Poesie. Poesie, Menschlichkeit und Moral sind die Formen, in denen Gott sich ausdrückt.« Kreuzkamp rückte sich gerade.
    Und die Lichtung?, hätte ich jetzt schreien können. Wo hat Gott sich da ausgedrückt? In den blauen Glockenblumen, den gelben

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