Aufbruch - Roman
Wohllauts gebildet. Das machte mir die Auswahl leicht. Bei den toten Dichtern fühlte ich mich sicher. Sie hatten überlebt. Und etwas von diesem Triumph ging auf mich über.
Schicksalsanekdoten hieß die Sammlung, Erzählungen von Tania Blixen, die noch bei mir im Holzstall standen.
» Babettes Gastmahl «, sagte ich andächtig. »Sag ich doch: einfach köstlich. Nicht ganz so wie Blinis Demidoff oder Cailles en Sarcophage, aber immerhin.«
Ich schmeckte den Trüffeln des Gastmahls nach, widmete mich den nächsten Bissen mit all der Aufmerksamkeit, die ich der überwältigenden Erzählung entgegengebracht hatte, auf meiner Zunge vermischte sich das Aroma vorzüglicher Trüffel mit meinem Leseentzücken, Godehard saß da in einer Reihe am Tisch mit General Löwenhjelm und dem Propst von Berlevaag, mit Philippa und Martine, der Witwe Oppegaarden, und ich mitten unter ihnen. Ich fühlte mich wohl und war doch auf der Hut. Trüffel, Austern und Champagner beherrschten die Weltliteratur, wenn es um Verführung ging, waren das Pendant des feinen Herrn zu Sachertorte und Likörchen des kleinen Mannes. »Nor einen wenzigen Schlock«, hielt ich Godehard mein Glas entgegen. Der griff hinter sich in den Eiskübel und goss nach. Babettes Gastmahl . Ich fühlte mich im Schutz einer großen Schriftstellerin.
Bratenduft wehte herüber. »Alles zur Zufriedenheit?«, räumte der Kellner unsere Teller beiseite, kam zurück mit zwei Glaskelchen: »Voilà. Zweimal Zitronensorbet. Es ist gleich so weit.« Eis? Mitten beim Essen.
Wieder rollte er einen Tisch heran, und dann trug er ihn herbei, vorsichtig, im Körbchen, wie ein Neugeborenes hielt er den Rothschild in seinen Armen, bevor er Korb und Flasche aufbettete. Feierlich, wie Kreuzkamp an hohen Festtagen Wasser und Wein zur Wandlung mischte, goss der Kellner einen Schluck in Godehards Glas. Der ließ die tiefrote Flüssigkeit träge in hohen Bögen kreisen. »Herrliche Fenster«, lobte er. Kellner und Gast nickten einander kennerisch zu.
Die Ente kam. Vor unseren Augen schnitt der Kellner die Brust aus dem braunen, duftenden Leib, Bratenhaut knisterte, dazu Champagnerkraut, wie er das Sauerkraut nannte, und Spitzkohl püriert. »Darf es etwas Sauce dazu sein?« Es durfte. Dann trug der Kellner alles wieder weg. Es schmeckte sehrsehr gut. Godehard pickte auf seinem Teller herum und sah mir beim Essen zu, fand offenkundig Gefallen an meinem Appetit. Viel sprachen wir nicht. Nur eines fehlt jetzt noch, dachte ich: ein Buch.
Wann immer es ging, suchte ich Lesen und Essen zu paaren: Essen und Lesen an ein und demselben Tisch zu ein und derselben Zeit. Das verschaffte mir eine nahezu lasterhafte Lust. Nichts stellte mich so vollkommen zufrieden, brachte mich dem Gefühl des Einsseins mit Gott und der Welt, nebst einem lustvollen Quentchen Teufelei, näher. Meist aß ich im Holzstall, wo ich auch ungestört lesen konnte, und meist war die Speise so beschaffen, dass sich wieder einmal Schiller bewahrheitete: Es ist der Geist, der sich den Körper baut. Ich aß Käsebrot und Schwarzbrot mit Rübenkraut und schlemmte doch, was immer im Hause Buddenbrook getafelt wurde, oder darbte trotz entschlossenen Bisses in die Pflaumenmusschnitte mit den Fischern am Gletscher von Halldór Laxness.
Gelang es mir, selten genug, allein im Haus eine warme Mahlzeit zu mir zu nehmen, wählte ich das zur Speise passende Buch
wie der Feinschmecker seinen Wein. Dann war der Genuss vollkommen. Der Rhythmus des Kauens und Schluckens fand im Rhythmus der Sätze zu einem phantastischen Duett, das Ohr kaum in der Lage, die melodischen Linien von Leib und Geist zu trennen. Parallelen, in Meyers verhasster Mathematik zum Treffen im Unendlichen verdammt, hier kamen sie zusammen: Essen und Erzählung verschmolzen in einem Mund, voll Geschichte, und der irreführende Gegensatz von Fleisch und Geist war überwunden. Klassisch tönte es bei Rotkohl mit Rindsroulade (einer halben) zu Fontanes Frau Jenny Treibel , lieblich ging ein Pflaumenkompott in Rilkes Herbsttag ein, in gewagten Assonanzen widersprach eine dicke Bohnensuppe Hamsuns Hunger .
Hier und jetzt aber war alles wirklich. Ich las von keiner Tafel, ich tafelte selbst. Dieses Gastmahl war das meine. Meine fleischliche Zunge schmeckte, was die wirklichen Zähne zerbissen. Vor mir bewegte Godehard seine kernigen Kinnbacken, kauten seine gutsortierten Gebiss gutgebratenes Geflügel.
»Eine jut jebratene Jans auf joldener Jabel jejessen, is eine jute Jabe
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