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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Schal oder Spitze immer wieder »zu verwandeln«. Konnte noch so kenntnisreich über Sartre, Kafka, Camus parlieren oder Ingmar Bergmans Wilde Erdbeeren kommentieren.
    Mit übertriebenem Schwung - »Mademoiselle, voilà!« - stellte der Kellner die Rose in einer kleinen schmalbauchigen Silbervase und meine Cola vor mich hin. Weiße Kristalle um den Rand des Glases, Zucker schmeckte ich, Eiswürfel klirrten, ein Zitronenschnitz geriet mir zwischen die Zähne, als wir uns
zutranken: »Hilla« und »Godehard«. »Auf Du und Du«, sagte er und tauchte seine Lippen in den Martini.
    »Sie, äh, du musst doch noch fahren«, wagte ich einzuwenden.
    »Das lass mal meine Sorge sein. Herr Ober! Die Weinkarte.«
    Der Mann - ja, wie bewegte er sich eigentlich? - tänzelte, schwänzelte, flog heran, elegante Servilität, drei Karten in der Hand.
    »Wünschen die Herrschaften denn nicht zu speisen?«, wagte er demütig und vorwurfsvoll zugleich zu fragen.
    »Jaja, natürlich«, erwiderte Godehard zerstreut. »Wie immer.« Und mit einem tiefen Blick in meine Augen: »Die Ente hier! Etwas Besseres findest du nicht einmal im Düsseldorfer Schiffchen. Kennst du nicht? Wirst du kennenlernen. Ach, was wirst du nicht noch alles kennenlernen.« Mit der einen Hand griff Godehard nach der meinen, mit der anderen nach der Weinkarte, gab sie aber dann ungeöffnet zurück. »Ich denke, wir bleiben bei dem Rothschild.«
    Durch den Körper des Kellners ging ein ehrerbietiger Ruck. »Wie immer. Der Rothschild.« So sprach die Großmutter die Worte des Ohms, ihres Bruders, vor Jahren Missionar in Afrika, nach, wenn der, bei uns zu Besuch, seine privaten Dogmen verkündete. Die Familie hatte sich seine Priesterlaufbahn vom Munde abgespart. Das Wort dieses Stellvertreters Gottes auf Erden war Gesetz in der Altstraße 2. Nicht nur in Glaubensdingen, da hatte er gegen jedweden Zweifel den Spruch »demütig glauben« parat. Hautnah bekamen wir seine Hoheit in allen Fragen von Sitte und Moral zu spüren. Mit seiner Verheißung: »Wenn die Frauen in Männerkleidern gehen, ist das Ende der Welt nahe«, hatte er mir als Kind das Leben in Winterzeiten sauer gemacht.
    Schon war der Kellner zurück: »Kleiner Gruß aus der Küche«, frohlockte er und stellte ein Tellerchen vor uns ab. »Haschee vom Tafelspitz an Sellerieschaum und Schalottenmark.« Sprach’s
und war weg, mit einer Schnelligkeit, die in der Tat das Wort »verschwinden« verdiente, als sei diese unsichtbare Art des Rückzugs eines der Berufsgeheimnisse seines Standes.
    Immer von außen nach innen, hatte ich gelesen, sei das Besteck zu benutzen. Dennoch wartete ich, bis Godehard mir einen Guten Appetit gewünscht, das Brotkörbchen gereicht, die Serviette mit dezentem Schwung auseinandergeschlagen, auf die Knie gebreitet und zur kleinen Außengabel gegriffen hatte. Aha, die Butter kam auf den kleinen Teller neben dem großen, dorthin, wo schon ein Extramesser lag, da also schmierte man sich die kleine Brotscheibe.
    Der Happen auf dem Teller - das Wörtergebirge für das kleine Häufchen konnte sich doch kein Mensch merken - schmeckte sehrsehr gut, aber warum so sparsam? Ich hatte seit der großen Pause nichts mehr gegessen. Schon wollte ich fragen, ob ich nicht noch ein Tellerchen haben könnte, so einen leckeren Gruß aus der Küche, da hatte sich der Kellner auch schon wieder an unseren Tisch gezaubert. »Vorspeise wie immer?«
    Godehard nickte. »Wie weit ist der Wein?«
    »Sollte noch eine Weile atmen.« Der Kellner warf einen serviettenähnlichen Lappen von einem Arm auf den anderen.
    Godehard machte eine Handbewegung, wie ich sie aus Filmen kannte, wenn der Chef den Chauffeur nicht mehr braucht. »Gefällt es dir?« Godehard fasste mich in seinen verklärenden Blick, dass ich gar nicht anders konnte, als zustimmend und vielleicht ein wenig übertrieben zu nicken. Was er auch gar nicht anders erwartet zu haben schien, denn er war schon weiter, beim Lobpreis des Weines, den wir gleich genießen würden. Aber vorher noch ein Glas Champagner. Zur Vorspeise, das könne ich ihm doch nicht abschlagen.
    Ich konnte es wirklich nicht. Was hatte dieser Mann, das ich nicht hatte? Er konnte, was Monika und Clas, was Sigismund und Doris konnten: bitten im sicheren Wissen um die Erfüllung der Bitte. Gar nicht in den Sinn kam es Godehard, dass es mir nicht gefallen könnte, dass er mir nicht gefallen könnte. Von
dieser Selbstgewissheit ging eine Kraft aus, der ich mich nicht zu widersetzen wagte. Mehr

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