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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Die Innenwelt der Wörter: anders in jedem Kopf. Überlappungen, ja, aber die Unterschiede vergrößerten sich sprunghaft, je mehr Wörter eine Verbindung eingingen, je mehr Ohren den Schall auffingen und in den Gehirnen zu Bedeutungen umwandelten. Einer sagt etwas in die Luft hinein. Und wie unser Ohr, unser Hirn, unser Herz es aufnimmt, was kümmert ihn das. Die Wörter sind weg, raus aus seinem Mund. Was die Wörter in uns anrichten, ist ihm egal. Ob sie Hoffnungen, Wünsche, Erwartungen wecken: egal. Gesprochene Wörter: Papiergeld. Wechsel ohne Gewähr.
    Menschen beim Wort zu nehmen. Davor musste man sich hüten. Wort halten taten nur die Bücher. Das gedruckte Wort. Unverrückbar. Verlässlich. So wie die Steine. Lügensteine? Lächerlich.
    »Hilla, hören Sie mir überhaupt zu?« Godehard drückte die Hupe. »Sie träumen wohl gern?«
    »Von einem Traumstein. Sicher. Lügensteine, na klar. Kenn ich!«, behauptete ich kühn.
    »Kennen Sie? Sie kennen Lügensteine?«
    »Und ob. Was glauben Sie, was die mir schon alles erzählt haben.« Hoffentlich war der verruchte Unterton nicht zu stark ausgefallen.
    Godehard schlug belustigt mit der Hand aufs Lenkrad. Sie steckte in einer Kombination aus grobgenarbtem Leder und
festem Strick, auf dem Handrücken ein rundes Loch, das seine dünn behaarte Haut zeigte.
    »Wenn Sie’s nicht glauben, fahren wir zu mir. Ich hab sogar einen zu Hause. Oder vielleicht morgen. Wir sind ja gleich da.«
    Die waldige Landstraße ging in eine Dorfstraße über. Von weitem die Türme des Altenberger Doms. Wie lange lag es zurück, dass ich Fronleichnam in einer Prozession der katholischen Landjugend durch dieses Portal gezogen war. Der Dom kam näher, noch näher, doch mein Fahrer machte nicht die geringsten Anstalten, das Tempo zu drosseln.
    »Halt!«, rief ich, als wir fast schon vorbei waren. »Der Dom!«
    »Ja, sicher, der Dom«, erwiderte Godehard ungerührt. »Was sonst? Wir sind gleich da.«
    Vor so viel Selbstsicherheit kam mir mein Wunsch, den Dom zu besuchen, eine Kerze, Ehrensache, anzuzünden, kindisch vor. Godehard wusste Bescheid.
    Das kleine Lokal war wirklich klein, das Erdgeschoss eines Fachwerkhauses abseits von der Landstraße in einer Lichtung gelegen. Zur alten Jagdklause.
    »Dort drüben?« Godehard steuerte auf einen Tisch am Fenster, rückte mir den Stuhl zurecht - das hatte noch nie jemand getan. »Hier haben Sie den besten Ausblick. Wenn’s dunkel wird, kommen sogar Rehe raus, wenn wir Glück haben. Ich jedenfalls habe jetzt schon Glück.«
    Godehard ergriff meine Hand. Gut, schoss es mir durch den Kopf, dass ich das Necessaire von Fräulein Kaasen seit meiner Kommunion immer so gewissenhaft benutzte.
    Wir waren die einzigen Gäste. Ein Kellner eilte herbei, schwarzes Jackett mit seidenen Aufschlägen, zum weißen Hemd eine schwarze Fliege. »Wie schön, Sie wieder einmal zu sehen, Herr van Keuken«, dienerte der Mann. Und mit einer Verbeugung zu mir: »Guten Abend, Mademoiselle. Darf es schon einmal ein Aperitif sein?«

    »Zwei Martini«, orderte Godehard.
    »Ganz wie in alten Zeiten«, schmunzelte der Kellner. »Darf ich Ihnen die Rose abnehmen, Mademoiselle?« Schon hatte er die Blume ergriffen und machte kehrt.
    »Für mich eine Cola.« Fremd und aufmüpfig klang mir meine Stimme in den Ohren. Hilla Spielverderber. Ich presste die Hand auf mein hämmerndes Herz.
    Mitten in der Kehrtwendung hielt der Kellner inne, die Rose an die Brust gedrückt, und sah Godehard fragend an.
    »Sie hören doch, Cola«, erwiderte der ungehalten. Der Kellner machte, dass er fortkam.
    »Ich, äh«, stammelte ich verlegen, »ich mache mir nichts aus Alkohol. Bekommt mir nicht.«
    »Müssen Sie doch auch nicht; niemand wird zu nichts gezwungen.« Godehard lächelte und griff nach meiner Hand, die ich ihm nicht entzog. Er verbarg seine Enttäuschung gut, aber ich wusste es besser. Auch Clas hatte mich vor kurzem zu einer seiner Partys eingeladen. Kaum zwei Stunden konnte ich bleiben, wollte ich die letzte Bahn erwischen. Und trinken tat ich auch nichts. Nur ein Schlückchen, sei kein Spielverderber; scheel angesehen hatte man mich, als ich hart geblieben war, spiritus verde, den grünen Schnaps, und Underberg vor Augen, Rosenbaums Mahnungen im Ohr. Nicht mal einen Schuss Rum in die Cola. Eine trübe Tasse sei ich, Streberin, Bücherwurm, da konnte ich mich noch so bemühen, mein »schlichtes Sommerkleid von zeitlosem Schnitt« durch modisches Beiwerk wie Gürtel, Clips, Blüte,

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