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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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ergriff, drückte; sein Zögern kaum sichtbar, doch sichtbar genug für mich. Für den Vater auch?

    »Josäff«, fuhr die Mutter dazwischen. »Wasch dir de Händ, du siehst doch, dat mir Besuch haben.«
    »Nur keine Umstände«, Godehard schüttelte Bertram herzhaft die Hand. »Ich muss jetzt wirklich gehen. Es war schön, Sie kennengelernt zu haben. Komm, Hilla, wir gehen.«
    »Wollen Se denn schon weg?« Die Großmutter hielt ihren Aufgesetzten hoch. »Schwarze Johannisbeere! Jibet nirjends ze kaufe! Kommen Se. Ein Jläsjen in Ehren …«
    Aber Godehard hielt mir schon die Haustür auf.
    »Amo, amas, amat«, flüsterte mir Bertram noch zu, mein »amamus, amatis, amant« hörte er schon nicht mehr.
    »Du hast doch sicher noch ein bisschen Zeit«, hielt ich Godehard beim Auto zurück. »Komm, ich zeig dir noch einen aus der Familie. Es ist nicht weit.«
    Wieder bewegten sich die Gardinen im Nachbarhaus, diesmal ging sogar das Fenster auf, und Julchen schmetterte uns mit ihrem starken Alt ein »Tach zesammen!« hinterher.
    »Springen«, Godehard zog mich an sich, als stünde ein Unwetter bevor, »springen musst du doch nicht, kleine Hilla. Ich werde dich in den Himmel tragen.« Tief hinunter zog er mich unter seinen Arm, verbarg mich an seiner Brust. Aber er machte zu lange Schritte, ich versuchte mitzuhalten, mich anzupassen an ihn, er versuchte kürzere Schritte, sich anzupassen an mich, wir kriegten keinen Gleichschritt hin. Schweigend legten wir den kurzen Weg zum Friedhof zurück, bis wir vor dem Grab des Großvaters standen. Da knurrte Godehard etwas, das wie »Doch« klang.
    »Was hast du gesagt?« Ich bückte mich nach einem Grashalm neben dem Grabstein.
    »Loch«, knurrte Godehard lauter. Und dann noch einmal: »Loch.«
    »Wieso?«, sagte ich verblüfft. »Ist doch ein anständiges Grab. Eins wie alle anderen. Oder meinst du das letzte Loch, auf dem wir irgendwann mal alle pfeifen?« Ich schluckte. Blöde Sprüche.

    »Kalendersprüche!«, schnaubte Godehard. »Das Haus!«, stieß er hervor. »Ein Loch.«
    Da begriff ich: Er meinte die Altstraße 2, und ich fühlte, dass ich mich zusammenrollte wie ein vergilbtes Blatt.
    »Komm, weg hier«, sagte er und zog mich mit sich. »Ich hol dich da raus. Und dann kriegst du auch endlich eine Zahnklammer.«
    »Ja, Godehard«, sagte ich, und er nahm mich wieder unter den Arm, küsste meine Augen, die Hand mit dem Ring. Wir gingen zurück, und ich trug ihm Genesungswünsche an seinen Herrn Vater auf und winkte dem himmelblauen Wagen hinterher.
    Mich zog es noch einmal zu Großvaters Grab. Ich gab den Gladiolen frisches Wasser und rupfte hier und da ein welkes Blatt von den Begonien. Nu, loof ald 26 , glaubte ich seine Stimme zu hören. Wohin? Dahin, wo ich mit Godehard nicht gewesen war. Zur Großvaterweide an den Rhein.
    Zwei frühe Schmetterlinge gaukelten in ihrem zarten Grün. Ihr Flügelflimmern tat mir wohl. Godehards Hand war vor der des Vaters zurückgezuckt!
    »Hildegard Palm« hatte der Großvater mit goldenen Lettern auf den Kiesel geschrieben, den er mir zum ersten Schultag geschenkt hatte.
    Unterprimanerin Hildegard Palm, Altstraße 2, ausgezeichnet mit einem Bildband über Monet für besondere Leistungen. Zwei Jahre noch, und sie würde Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes sein.
    Wind fuhr in die Zweige der Pappeln, drängte die beiden Falter in der Weide zusammen, drängte mich unter ihren blassgrünen Zweigemantel, ich streckte mich aus, einfach so, in meinem besten Kleid lag ich unter der Großvaterweide, so, wie wir als Kinder dort gelegen hatten, Bertram und ich. Und wie damals ließ ich die Ohren ausfahren, an langen Fäden schmetterlingsleicht wie bunte Ballons in den pfingstlichen Himmel, bis ich
die wütende Hoffnung und den Schrecken hinter mir ließ, die dunklen Verheißungen und die Trauer, bis ich hoch droben ankam im Kindheitsland bei den Sommergesichtern des lieben Toten in einem Gespinst aus Erinnerungen und dem Geruch von Manchesterhosen und Burger Stumpen. »Trau Deiner inneren Sicherheit«, hörte ich Rosenbaums Stimme, oder war es die des Großvaters? »Egal, wie andere Dich sehen, oder was andere wünschen, was aus Dir werden soll. Du kannst Dich Dir selbst erzählen. Du bist Deine Geschichte. Lass nicht zu, dass andere Deine Geschichte schreiben.«
    Du bist deine Geschichte. Ich sprang auf, schüttelte den Sand aus den Kleidern, rannte zurück, durch Kohl- und Porreefelder, den Blütenschnee der Kämpen, am Kirchplatz

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