Aufbruch - Roman
so sonderbar umschlungen auch noch sehr unbequem geht, dabei oft ins Wanken kommt und einander auf die Zehen tritt, sei noch am Rande vermerkt.«
Langsam, langsam schritten wir davon, sollten Julchen und Klärchen, die Nachbarinnen, genau hinsehen, wer da aus einem himmelblauen Wagen stieg, wer wem die Hand reichte, wer an wessen Arm davonstolzierte aus der Altstraße 2, Arm in Arm, Schritt für Schritt.
Wie immer führte Godehard das Wort, schien gar nicht zu sehen, was ich sah, mein Dorf, in dem ich groß geworden war, so erwachsen, dass ich jetzt, groß und schön, am Arm eines schönen Campari-Mannes flanierte, am Rathaus und am Gänsemännchenbrunnen vorbei, die Dorfstraße hinauf, durchs Tor des Schinderturms, vorbei am Kirchplatz, wo pfingstlich die gelb-weißen Fahnen wehten, so groß und schön am Arm seines schönen Campari-Mannes schritt dat Kenk vun nem Prolete, die Unperson aus keinem guten Stall, und alle konnten mich sehen, Arm in Arm ging es, meine Hand mit dem goldenen Schlänglein für alle sichtbar auf Godehards Ärmeltweed, bis wir die Reithalle hinter uns ließen und den Apfelblütenschnee in den Auen, die Rübenäcker und Porreefelder erreichten, da nahmen wir uns bei den Händen, den Weg hinauf auf den Damm, wo ich mich losriss von Godehards Hand und davonlief, vorbei an Pappeln und Schilf, ans Wasser. Von weitem nickte ich der Großvaterweide zu. Pappelsamen flog, da wandere de Bööm, klang mir der Großvater im Ohr. Würde Godehard die Sprache der Bäume verstehen? Könnte er jemals aus Buchsteinen lesen?
Ich war ihm weit vorausgelaufen. Gemessenen Schrittes folgte er mir. Nein, er hatte wirklich keine Eile, wie er mir immer wieder versicherte.
»Sieh mal.« Ich drückte Godehard einen weißen Stein, von roten und grauen Adern durchzogen, in die Hand. »Ist der nicht schön?«
»Metamorphes Gestein«, sagte Godehard achselzuckend, »ganz gewöhnlicher Rheinkiesel. Aber da er von dir ist«, er führte den Stein an die Lippen, »ist er natürlich etwas Besonderes. Ein Hillastein sozusagen.« Godehard lachte entzückt ob seines Einfalls und ließ den Kiesel auf der Handfläche hüpfen. Hillastein.
»Oder ein Lügenstein«, spottete ich. »Was sagt er denn, dein Hillastein? Lapis Hildegardis?«
Godehard sah mich unsicher an und steckte den Stein in die Jackentasche.
»Komm«, sagte ich, »zu Hause warten die schon.«
Beim Rathaus kam uns Bertram entgegen. Hatte er uns hier abgepasst? Wie kurz und gedrungen er neben dem langen, schlanken Godehard aussah.
Die Mutter stand schon in der Tür, trug ihr blau-weiß gestreiftes Kleid mit Schmetterlingsärmeln, die gelblichen Schweißränder unterm Arm kaum sichtbar. Dazu ihre Sonntagspumps, auf denen sie sich bewegte, als sei sie in ihren eigenen vier Wänden zu Besuch. Neben ihr die Großmutter mit glühenden Bäckchen, in ihrem üblichen Schwarz, ohne Schürze.
Ich stellte Godehard vor. Ach herrje, der Strauß, wo war der Strauß? Godehard lief zum Auto, hier erst mal die Pralinen. »Nä, sujet, is ja wie Weihnachten«, die Mutter schlug die Hände zusammen; eine Schachtel dieser Größe kannte sie, kannten wir nur aus Schaufenstern. Und dann der Strauß! Wo war die Vase? Eine passende Vase, Riesenvase, »Maria, mir nämme die von dä Fronleischnamsprozession«, die Großmutter verschwand im Keller.
»Kommen Sie rein, Herr Küken«, die Mutter hielt die Wohnzimmertür auf. »Keuken!«, riefen der Bruder und ich wie aus einem Munde, und Godehard sagte: »Nennen Sie mich doch einfach Godehard, liebe gnädige Frau«, ergriff die Hand der
Mutter und führte sie an die Lippen, das heißt, das hatte er vor, doch die Mutter entzog ihm die Rechte und versteckte sie hinter dem Rücken wie ein kleines Kind, das nicht das schöne Händchen geben will.
Ich sah, wie Bertram einen Blick zur Zimmerdecke schickte, sah, wie der Mutter das Blut zu Kopf stieg.
»Setz dich, da. Bitte!« Ich wies auf den Stuhl am Kopfende des Couchtischs, den der Vater für den heutigen Zweck sowohl hochgekurbelt als auch ausgeklappt hatte. »Bitte!«, wiederholte ich. Meine Stimme hoch und hastig wie die Töne einer Kasperlefigur. Wenn er sich doch endlich setzen wollte! Wie klein große Menschen kleine Räume machen. Wie niedrig die Decke hing, wie erbärmlich die Lampe mit den drei tütenförmigen Schalen. Die Großmutter kam mit der Vase zurück, es gab noch einmal ein Durcheinander, doch dann saßen wir alle um den Tisch herum.
»Tässje Kaffe?« Beherzt griff die
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