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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Großmutter nach Godehards Tasse.
    »Wat darf et denn sein, Jodehaad«, fasste auch die Mutter Mut. »Alles selbst jebacken. Un et Obst aus dem eijenen Jarten.«
    »Schmeckt lecker, Mama.« Bertram hatte sich schon versorgt, kaute mit vollen Backen und bearbeitete den Kirsch-Streusel mit der Kuchengabel, dass es nach allen Seiten spritzte.
    »Äh«, Godehard schien verwirrt. »Äh, ja, ein Stückchen Apfelkuchen bitte.«
    »Jedeckter Apfel«, die Großmutter leckte die Lippen. »Mein Jeheimrezept. Noch vun de alten Vischers. Dem Bürjermeister«, ergänzte sie stolz. »Da war isch Dienstmädschen, müssen Se wissen. Un dat Heldejaad hat da immer die Kalenderblättschen abjerissen un jesammelt. Un alles aufjeschrieben in sein Heft.«
    »Oma, das interessiert den Godehard doch nicht.«
    »Doch, doch«, beeilte der sich zu sagen. »Das ist doch köstlich. Das mit dem Kalenderblättchen, meine ich. Ebenso wie dieses außerordentliche Gebäck. Exzellent. Was stand denn da
so auf deinen Blättchen? Weißt du noch eines?«, wandte sich Godehard gezwungen neckisch an mich.
    »Subsilire in caelum ex angulo licet«, sagte ich.
    Die Großmutter nickte und strahlte wie immer, wenn sie die Sprache Gottes hörte. Bertram nickte und grinste. Die Mutter nickte Godehard zu, Godehard wiegte den Kopf. »Auch aus einem bescheidenen Winkel kann man in den Himmel springen«, feixte ich. »Noch ein Stückchen? Pfirsich-Sahne vielleicht?« Wie trostlos die neue Tapete mit ihren blauen, roten, gelben Segelbooten und Sonnenschirmchen an der Wand klebte.
    Es klingelte. Die Mutter sprang auf, knickte um, Godehard hielt sie am Arm. Es klingelte einmal, zweimal, durchdringend.
    Die Tante. Platzte herein. Platzen, ein Verb, wie für sie geschaffen, jede Bewegung, jedes Fingerschnippen, Lippenspitzen verschaffte sich Platz in der Luft, in der Welt. Drängte sich an der Mutter vorbei, stutzte: »Habt ihr Besuch?« Wie schlecht sie heucheln konnte!
    Godehard erhob sich, ergriff die Hand der Tante mit den Fingerspitzen, die er wiederum mit ausdrucksloser Miene an die Lippen führte. Bertram grunzte vor unterdrückter Belustigung.
    »Habt ihr noch en Plätzjen für misch?« Schon hatte die Tante den Hocker gepackt, Godehard sprang auf: »Bitte sehr, gnädige Frau.«
    Umstandslos machte es sich die Tante bequem, während mein Besuch, den Kuchenteller in der einen, die Gabel in der anderen Hand, auf dem Schemel kauerte.
    »Jololojie studieren Se also«, eröffnete die Tante, sich über ein Stück Pfirsich-Sahne hermachend, das Gespräch. »Isch weiß schon, wat mit Steinen. Wat lernt man denn da so?«
    Eines musste man der Tante lassen: Sie wusste mit Männern umzugehen. Nichts bringt ein stockendes Gespräch sicherer in Schwung, als einen Mann nach seiner Profession oder seinem Hobby zu fragen.

    »Geologie, richtig«, nahm Godehard den Ball auf. »Was man da lernt? Sehen Sie.« Godehard grub meinen Stein aus der Rocktasche. »Ein einfacher Stein, werden Sie sagen. Nein! Unsere ganze Erde, die Schöpfungsgeschichte steckt in diesem Stein.« Beim Wort »Schöpfungsgeschichte« horchte die Großmutter auf und setzte sich gerade. Und während die Tante von Pfirsich-Sahne zu Schoko-Nuss mit Guss überging, die Mutter eine Tasse Kaffee nach der anderen trank und Bertram unterm Tisch meinen Fuß bearbeitete, holte Godehard mit leicht näselnder Dozierstimme zu einem seiner weitschweifigen Vorträge über Erdzeitalter und Gesteinsarten aus.
    Der Großmutter sank schon bald der Kopf auf die Brust, ihr Atem ging leise pfeifend, diese Schöpfungsgeschichte war doch nicht das Richtige für sie. Die Tante, endlich satt, schlug mit dem Löffel gegen die Zuckerdose.
    »Pass doch op«, fuhr die Mutter auf. »Du machs ja noch de jute Büchs kapott.«
    Godehard brach ab. Sah auf die Uhr. »Ich glaube, es wird Zeit für mich. Schade, dass ich den Herrn Vater nicht angetroffen habe.«
    »Den hab isch doch jesehen«, rief die Tante. »Der is im Jarten. Josäff!!«, schrie sie aus dem Fenster. »Besuch! Der Jodehaad muss jonn!«
    »Komm, ich bring dich zum Auto«, sagte ich. Wieder kam es zum Handkuss; diesmal hielt die Mutter stand, mit einem unnatürlichen, gehorsamen Lächeln, als zeige sie die Zähne dem Schulzahnarzt, und sekundenlang hasste ich sie für diese naive Gefügigkeit, mit der sie den Handkuss für bare Münze nahm.
    Der Vater. Stapfte herein, im Blaumann, die Füße in Blotschen 25 , und streckte Godehard die erdverschmierte Hand entgegen, die dieser

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