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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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hinein, lauwarmes Fett tropfte, schlierte über das Gemüse. Ich schob den Teller von mir. »Einen Goldstein, Silberstein, Mensch, Bertram, da hilft der dickste Lachstein nix.«
    Bertram stemmte die Gabel neben den Teller. »Brauchs de wieder Geld für ein Buch?«
    »Nä«, sagte ich, »diesmal ist es ernst.«
    »Kann was kosten«, war sein Resümee. »Mit hundert Mark bin ich dabei. Die hab ich noch auf dem Sparbuch von der Tante Angela.«
    »Ja, wer so eine Patentante hat!« Ich zog den Teller wieder zu mir, aß weiter. Die Steine des Großvaters hatten uns Geschichten erzählt; die der Tante waren zu Geld geworden, Bauland, sozusagen Geldsteine. Als Kinder hatten wir bei unseren Besuchen Steine von den Feldern geklaubt und an den Rändern aufgeschichtet; dafür wurde uns beim Abschied ein Geldstück in die Hand gedrückt.
    »Und wenn du mal den Papa fragst? Der kann dir doch was vorstrecken. Kriegt er ja wieder, wenn du bei Maternus fertig bist.«
»Der, der …« Ich brachte das Wort »Papa« nicht über die Lippen. »Den soll ich fragen?«
    »Warum denn nicht? Kost doch nix. Denk an den Lachstein.«
    Unsere Teller waren leer. Bertram wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und trabte - »Der Hunderter ist gebongt!« - davon.
    Die Wurst lag mir schwer im Magen. Morgen würde ich beides erfahren, die Kosten und die Daten des Kurses.
    »Dreihundertfünfzig Mark«, sagte Monika, alles in allem, Flug und Kurs. Ich atmete auf. Das könnte ich bei Maternus verdienen. Abflug in der ersten August-, der ersten Ferienwoche.
     
    Ich fing den Vater am Gartentor ab, dort, wo ich ihm vor Jahren meine ersten Englischvokabeln entgegengeschrien hatte: »Big pig«, immer wieder, »big pig«, wie verrückt war ich um den Schuppen herumgesprungen und hatte ihm die Laute in die Ohren gegellt, die er nicht verstehen konnte, bis er die Tür aufriss, den Hosengürtel in der hocherhobenen Hand. Aber es gab auch den anderen Vater. Einmal, ein einziges Mal, hatte er sich mir gezeigt, damals, nach dem kleinen Lottogewinn, als ich mit ihm nach Köln gefahren war, ganz allein, nur der Vater und ich. Drei Kleider, einen Ledermantel und eine Pepitahose hatten wir gekauft, alles auf einmal. Aber ein Lexikon, das ich mir damals mehr als alles andere wünschte, hatte es nicht gegeben. »Bööscher? Nä«, hatte der Vater feindselig geknurrt. Stattdessen kaufte er mir ein Armband mit buntem, funkelndem Dom. Ich verwahrte es im Samtkästchen neben dem Kommunionsgeschenk von Tante Berta, dem ziselierten Kreuz am Silberkettchen.
    Gab es diesen Vater noch? Den Mann, den ich beinah geküsst, dessen Haut zwischen Schläfe und Ohr mein Mund sekundenlang gestreift hatte, bevor wir nach Hause zurückkamen. Gab es ihn, jetzt, wo ich ihn brauchte?
    Der Vater schwang sich vom Fahrrad. Sein Blaumann verströmte den strengen Geruch einer Arbeitswoche. Die Hände
am Lenker verschmiert wie der Drillich. Er sah kurz auf, ungefähr in meine Richtung.
    »Hör mal«, sagte ich leise.
    Der Vater knallte mit dem Hacken seines festen Schuhs das Gartentor hinter sich zu und schob das Fahrrad an mir vorbei. Ich sprang ihm aus dem Weg.
    »Hör doch mal!«
    Er hielt inne und drehte sich nach mir um. »Wat jibet denn?« Er klang gleichgültig, müde, hatte es eilig, aus der Kluft herauszukommen und in Manchesterhose und Joppe im Schuppen zu verschwinden.
    »Ich, ich brauch Geld!«
    »Jeld? Dat bruche mir all!« Aus der Kehle des Vaters löste sich ein heiserer Laut, ein Lachen, ein Räuspern?
    »Waröm fröjs de dann nit dinge Kääl, dä rische Pinkel?«
    »Der ist weg.«
    »Ach, nä«, der Vater warf mir einen abschätzenden Blick zu. »Dann bin isch dir jitz widder jut jenuch. Un wofür?« Der Vater wischte sich die Stirn, seine ölverschmierten Finger zogen Striemen wie von einer Verletzung. Als suche er etwas weit hinter mir im Verborgenen, sah er an mir vorbei.
    »Jeld broch isch. Jeld. Un isch will et nur jeliehe han. Du kress et all widder!«, suchte ich Zuflucht in der Sprache meiner Kindheit, der Großvatersprache, der Zeit vor den Büchern, vor dem blauen Stöckchen hinter der Uhr.
    »Wat soll dat dann?« Endlich sah der Vater mich an, richtete seinen Blick auf mich, fasste mich ins Auge, ich fühlte mich gefasst, gestellt, schlug die Augen nieder, konnte diesen Blick, diese Mischung aus Argwohn und Müdigkeit nicht ertragen. »Wie kalls du met mir? Jlövs de, isch künt keen Huhdüksch verstonn?« 28
    Ich kniff die Lippen zusammen. Schon wieder

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