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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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yötä, steckte den Kopf unter die Zweige der Weide und döste. Döste mich an die Gestade der jugoslawischen Adria, an die finnische Brust meines Papieringenieurs und schlang meine Arme um mich.
    »Hyvää päivää«, grüßte ich am Morgen die Mutter. »Hyvää iltapäivää«, mittags die Großmutter. »Hyvää yötä«, knuffte ich abends das Bett des Bruders. Ich hatte die Karte aus Glasgow auf sein Kopfkissen gelegt.
    »Et wöt Zick, dat de Scholl widder anfängt«, murrte die Mutter. »Nix wie Driss em Kopp. 35 Dat kütt dovon, wenn mer nit ärbeede moss.«
    Sie hatte recht. Es wurde Zeit, dass ich meine Reiseeindrücke zu Gehör bringen konnte, solange sie noch frisch waren. Gewissensbisse? Hatte ich nicht vor wenigen Wochen noch Sokrates’ unbedingten Willen zur Wahrheit verehrt? Mein Verlangen, eine wie alle zu sein, war stärker. Ich wollte mich nicht herausreden. Hineinreden wollte ich mich.
     
    Wir hatten uns schick gemacht am ersten Tag nach den großen Ferien. Monika stöckelte auf hohen Absätzen in einem dünnen, blauen Sommerkleid in die Klasse, Astrid trug ihren rosa Pullover,
und ich hatte mein Haar so lange gebürstet, bis es sich knisternd lockte und mir über die Schultern fiel, über braune, jugoslawische Ferienhaut, braunes, jugoslawisches Ferienhaar. Und ein rotes Band hatte ich hineingebunden, so, wie ich es in Jugoslawien gesehen hatte.
    Die erstaunlichste Veränderung aber war mit Anke vor sich gegangen. Zu einer engen schwarzen Hose aus einem sanft glänzenden Stoff trug sie eine rosagrün schillernde Bluse, am Hals von einer Kordel gehalten, die sie, das hatte ich auf Titelbildern von Quick und Revue gesehen, mit einem Griff jederzeit so weit lockern konnte, dass man den Ansatz des Busens und mehr sehen konnte.
    Außer sich war die Tante vor ein paar Tagen mit der Rheinischen Post bei uns hereingestürmt: »Dä!«, hatte sie geschrien. Mehr war nicht nötig.
    Den Rest erklärte das Photo einer Frau, die in einem eleganten Kleid über eine elegante Straße stolzierte. Aus dem schlichten Ausschnitt schwappten zwei nackte Brüste. Natürlich mit einem Balken drüber. Schmal genug, um dem ungeheuerlichen Anblick kaum Abbruch zu tun. Und wo? Natürlich in Düsseldorp! Op dr Kö!
    Die Großmutter hatte gleich nach der Brikettzange gegriffen - »Dat Düwelzeusch pack isch nit an« -, das Blatt erfasst und unter verdammendem Klappern der Herdringe ins Feuer geworfen. Das Corpus Delicti vernichtet. Die Tante hocherbost. Wollte sie ihren Aufklärungsfeldzug fortsetzen, musste sie in eine zweite Zeitung investieren.
    »Kütt alles von dene Amis«, knurrte die Großmutter, »dabei haben die so ne nette Präsident. Kattolisch!«
    Eine solche, zur Unschamhaftigkeit verlockende Ami-Bluse trug also ausgerechnet die stille, strenge Anke, die doch nichts im Kopf hatte als Zahlen, geometrische Figuren und ihre kranke Mutter. Auch ihr mausbraunes Haar kam mir verändert vor, weicher und heller, aber das mochte an der Sonne liegen, ligurische Sonne; von Anke war eine Karte aus Ventimiglia gekommen.

    Wir waren in der großen Pause ein paar Schritte von der Baracke in den Park geschlendert.
    »Wisst ihr«, tat ich geheimnisvoll, »warum die Krawatte Krawatte heißt? Cravate: so genannt nach den Kroaten, die unter Ludwig XIV. in Frankreich ein Fremdenregiment bildeten und eine eigenartige, in Frankreich dann nachgeahmte Halsbedeckung trugen. Erst das Bändel am Hals, dann das Wort dafür.« Wissen ohne Nutzen. Einfach so. Das war nach meinem Geschmack.
    »Hilla«, vergeblich suchte Monika, meinen Namen mit dem flotten Doppel-L gelangweilt zu dehnen. »Hilla, war ja wirklich schade, dass du nicht dabei warst. Aber so spannend war es nun auch wieder nicht, Englisch von morgens bis abends. Nur …« Monika fingerte an ihrem Armband, einem Silberkettchen mit vielen winzigen bunten Gegenständen, kleinen Burgen, Kirchen, Hütchen und Schuhen. »So langweilig kann es in deinem Kaff doch auch nicht gewesen sein, dass du dich mit so einem Kram befassen musstest. Das interessiert doch keine Mücke.«
    Anke und Astrid nickten.
    »Wieso langweilig und wieso Kaff? Naja, wenn du Novi Vinodolski ein Kaff nennst!«
    Drei Paar Kaumuskeln hielten inne.
    »Ach!«
    »Wo?«
    »Ich denke, du warst wieder bei Maternus?« Astrid sah mich von der Seite an. Ihr angebissenes Brot in der Blechschachtel sah mitleiderregend aus. Ich schluckte meinen letzten Happen hinunter. Astrid war schließlich in Rottenburg gewesen; als Aufsicht

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