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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Pause mit Peter, in mich hinein, machte, dass ich aus den Arbeitskleidern kam, zog zur besten Bluse die Pepitahose an und schwang mich aufs Rad. Nach Großenfeld. Im Matchbeutel meine hundertachtundvierzig Mark vierzig. Zum Teufel mit dem kleinen Schwarzen.
    »Neuerscheinungen« lockte die Maier’sche Buchhandlung, wo ich vor Jahren nach verbotenen Wörtern im Lexikon geforscht hatte. Unwillkürlich suchte mein Fuß den Rücktritt. Ich zwang mich vorbei. Drehte noch eine Runde um meine alte Schule,
dann endlich stieg ich ab, rüttelte mich in Pepitahose und Bluse zurecht, Bauch rein, Brust raus, und drückte die Klinke.
    Es roch nach Kaffee und frischen Brötchen in dem kleinen Raum; die Wände über und über mit bunten Plakaten bestückt, ein Regal mit Prospekten, ein Gummibaum, der im Luftzug eines Ventilators bebte. Das Mädchen hinter dem Schreibtisch ließ das Brötchen samt Teller in der Schublade verschwinden, musterte mich von den Turnschuhen bis zum roten Band in meinem Haar und bot mir einen Stuhl an. Vor dem Plakat mit der machtvollen Wölbung eines antiken Gebäudes, das ein schwarzer Aufdruck mitten durch den blauen Himmel als Pantheon auswies, sah sie klein und verloren aus in ihrem rot-weißen Ringelpulli.
    Wie kaufte man eine Reise? Eine Reise kaufen hieß, eine Reise buchen, das wusste ich seit den Hollandtouren der Tante mit Bötschs Bussen. »Has de denn schon jebucht?«, fragte die Mutter immer wieder, sobald die Ankündigungen im Schaukasten hingen. »Has de schon jebucht«, ihre kleine Stimme voller Bewunderung für die ältere Schwester, Bewunderung mit einer Spur Neid und einem schiefen Blick auf mich, unnützer Kostgänger.
    Buchen also. Am liebsten hätte ich wieder kehrtgemacht.
    »Sie wünschen bitte?«, wiederholte das Mädchen seine Frage.
    »Ich möchte«, räusperte ich mich, »ich möchte eine Reise - buchen.« Es war heraus. Mein Herz steckte im Hals und ich schluckte, einmal, zweimal, bis ich es wieder an seinen Platz gedrückt hatte.
    Das Mädchen verkniff sich ein naheliegendes: Das kann ich mir denken, wofür ich ihm dankbar war, und fragte, wo es denn hingehen solle. Ich zuckte die Achseln. Ob in Deutschland? In den Norden, Ostsee, Nordsee. Oder den Süden, das schöne Bayern? Die Ruhpoldinger Alpen, zur Zeit Deutschlands beliebtester Ferienort, von dort kombinierte Reisen zu immer anderen südlichen Zielen. Die Aufzählung des Mädchens
machte Ruhpolding zum Mittelpunkt der Ferienwelt. Ich bewunderte, wie sie diese Angebote ohne zu stocken herunterschnurrte, nur hin und wieder einen Blick in einen Katalog werfend, den sie nun umblätterte, um mir ebenso geläufig ein »unbekanntes schönes Deutschland« zu empfehlen, mit unzähligen Orten in Oberschwaben, Spessart und Maintal, Eifel und Hunsrück, wie im Erdkunde- oder Geschichtsunterricht kam ich mir vor, während sie Orte, von denen ich nie gehört hatte, mit ihren Stauseen, Ruinen, Talsperren, Seenplatten, Klosterkirchen, Bärenhöhlen, Nebelhöhlen, Tropfsteinhöhlen, Burgen, Türmen, Domen, Schlössern, Natur- und sonstigen Denkmälern aus dem Katalog in den Ferienhimmel hob. Sie mit zahllosen Adjektiven zu unwiderstehlichen Zielen adelnd, vor allem durch das eine: idyllisch. Idyllisch war alles, vom Baggersee bis zum Matterhorn.
    Mit jedem neuen Angebot fühlte ich mich auf meinem Plastikpolster schrumpfen. Wenn kaufen auch buchen hieß, bezahlen musste ich es doch. Ich wollte nur noch raus.
    Das Mädchen machte eine Pause, holte das Brötchen wieder aus der Schublade, leckte etwas Leberwurst vom Finger und bot mir eine Tasse Kaffee an.
    »Nein, danke!«, sagte ich und griff meinen Matchbeutel. Ich konnte, wenn ich wollte. Wenn ich gewollt hätte.
    Das Mädchen sprang auf. Raffte ein paar Prospekte aus dem Regal. »Hier! Dann nehmen Sie die doch wenigstens mit.«
    Ich zog meinen Matchbeutel zusammen.
    »Sind doch umsonst!«
    Ich zog meinen Matchbeutel wieder auf. Der Stapel wog fast so schwer wie ein Lexikonband. Zu Hause verschwand ich mit meiner Beute im Holzstall.
     
    Eine klassische Italienfahrt würde 421, eine volkstümliche 486 Mark, eine romantische 753 Mark verschlingen. Wem Gott will rechte Gunst erweisen. Das Paradies am blauen Meer, es blieb für mich verschlossen. Mein Sesam-öffne-dich zu knapp bemessen.
Hunderte von Stunden hätte ich dafür jäten, hacken und pflanzen müssen.
    Ich legte das Heft zu den anderen. Sah hinunter auf meine Hände, die Narben fast unsichtbar, in den Rändern der Fingernägel

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