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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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noch Erde von gestern. Braungebrannt. Braungebrannt wie meine Arme bis hinauf zu den Schultern, braun wie mein Nacken, mein Hals, mein Gesicht.
    Hatte ich mir auf meinen Gräbern nicht genau das erworben, was die fernreisenden Klassenkameraden aus südlichen Breiten mit nach Hause bringen würden: braune Haut? Schien nicht eine Sonne von Dondorf bis Rimini? Ließ sich Dondorfer Grabesbräune von der Meeresbräune Ricciones, grüne Perle der Adria, unterscheiden?
    Ich musste mich nach den Ferien nicht mit launigen Bemerkungen über Blumenerde und Begonien aus den Gesprächen derer stehlen, die, zurück aus der großen Welt, das große Wort führten. Ich wollte mitreden.
    Am liebsten wäre ich nach Italien oder Griechenland gefahren. All das Gelesene zu sehen. Sapphos Gedichte auf Lesbos. Platons Symposion in Athen. Mit Sokrates auf der Agora … und dann erst Rom. Mit Caesar durch das Forum Romanum, Neros Blick auf die brennende Stadt, die Villa Kaiser Hadrians.
    Aber der Alltag. Monika und Anke waren schon zweimal in Italien gewesen. Selbst wenn ich den Aufstieg zur Akropolis noch so enthusiastisch schildern würde, eine Flugreise nach Griechenland für 435 Mark würde man mir nicht abnehmen. Und Monika wäre mit Recht gekränkt.
    »Jugoslawien, Land der Buchten und der tausend Inseln. Ihr Vorteil in Leistung und Preis.« Ohne mich um die kleinen Bildchen zu kümmern, stieß ich gleich zur Preistabelle vor. Ich wählte das billigste Ziel. Gewohnheit? Glaubwürdigkeit vor mir selbst? Novi Vinodolski mit Übernachtung und Frühstück: 225 Mark. Idyllisches (schon wieder!) kleines Seebad, gepflegte Gärten, bewaldetes Hinterland, ausgedehnte Uferpromenade. Zwei Strandbäder, Bootsverleih, Tennis, Konzerte, Kino; Stadtmauern,
Zitadelle, eine altkroatische Kirche, Fischerhafen. Alles in allem eine Mischung, mit der man etwas anfangen konnte. Ich wollte reisen. Auf dem Papier. Die Auslagen lächerlich. Ein Heft, ein Stift. Und da ich mein Schicksal nicht ganz aus der Luft greifen mochte, mussten ein paar Tatsachen her, an denen ich mein Abenteuer verankern konnte.
    Das alte Lexikon half nicht weiter. Jugoslawien gab es nicht. Nicht einmal das Wort. Beim Großenfelder Buchhändler versorgte ich mich mit ein paar Zahlen und Fakten aus Katalogen und Reiseführern. Auf Vorrat und für alle Fälle. Ob Anke wusste, wie viel Einwohner die Schweiz hatte oder Spanien, wo sie voriges Jahr Ferien gemacht hatte? Welche Verfassung Italien? Ob die Erde dort Löss, Karst, Lehm war? Wen interessierte das? Gutes Wetter, sauberes Wasser, leckeres Essen, nette Leute. Daran musste ich mich halten. Vielleicht hier und da noch eine Sehenswürdigkeit, einige Sonderbarkeiten. Der Kolo zum Beispiel, ein alter südslawischer Rundtanz, so der Polyglott, würde in ganz Jugoslawien auch heute noch von der Jugend getanzt. Mit mir.
    Im Stall und bei der Weide hielt ich mich nicht mit Möglichkeitsformen auf. Versetzte mich im Handumdrehen in die wirkliche Wirklichkeit einer Reise nach Novi Vinodolski. Fuhr von Köln bis Rijeka im Liegewagen. Nahm den Bus nach Novi Vinodolski. Unterkunft in einer Pension. Strandleben. Ließ Palmen und bunte Fahnen wehen. Segel und Matrosen vor Anker gehen, holte das Blaue vom Himmel herunter aufs Papier. Ließ die Volkstanzgruppen springen, Mandolinen im Mondschein erklingen, derweil sie mir auf der Zunge zergingen: ćevapčići in einer gostiona am Meer, dazu pivo und prosit und voćni sok. Viel mehr gab der Reiseführer nicht her.
    Aber ich wusste mir die Zeit zu vertreiben.
    Mit Eero Huusarii, einem finnischen Papieringenieur. Tatsächlich hatte ein solcher während meiner Zeit op dr Papp dort hospitiert. Im Winter, als es fürs Rad zu kalt war, setzte er sich ein paarmal in der Straßenbahn neben mich. Er gefiel mir mit
seinen gelben Haarstoppeln und dem drolligen Akzent, wenn er die L und M und N mit der Zunge gegen den Gaumen presste. Schließlich lud er mich ins Kino ein - Wilde Erdbeeren in Möhlerath. Doch da hatte ich tags zuvor Sigismund im Theaterbus mit der anderen gesehen, und ich schlug seine Einladung so unwirsch aus, dass er mich nur noch von weitem grüßte.
     
    Einfach heranschlendern ließ ich ihn am Strand.
    Im Polyglott Sprachenführer lernte ich: Guten Morgen. Guten Abend. Auf Wiedersehen. Finnisch. Minä rakastan sinua, ich liebe dich, schwor ich den Wellen am Rhein, dem Wind in den Pappeln, dem Schilf, minä rakastan sinua in Licht und Schatten, guten und bösen Tagen. Mittags sagte ich: Hyvää

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