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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Schwan auf, verwandelt sich in einen Ritter, hilft ihr gegen ihre Feinde, und heiratet sie. Doch nie soll sie ihn fragen, woher er kommt und wie er heißt. Hätte Elsa irgendetwas getan, wäre sie irgendwie aktiv geworden, etwa, indem sie Prüfungen bestanden hätte, wie Stroh zu Gold spinnen, Linsen verlesen, Betten schütteln oder Gänse hüten, um sich ihren Lohengrin mit Hand oder Verstand zu verdienen, ich wäre auf ihrer Seite gewesen. Bloß einsam in trüben Tagen zu Gott zu flehen, war mir zu wenig. Hilf dir selbst, so hilft dir Gott: Das war meine Devise; wobei ich dem ersten Teil des Satzes mit den Jahren zunehmend größeres Gewicht beimaß. Oder war Rosenbaum auch am Ende ein von »Gott Gesandter« gewesen, mich aus dem Elend von Ablage und Kontokorrent zu erlösen?
    Wenn Elsa nun aber schon, ohne einen Finger zu krümmen, ihren Ritter gewonnen und damit ihre Stellung in der Gesellschaft gefestigt hatte, dann hätte sie weiß Gott gut daran getan, auf ihn zu hören und ohne zu fragen, dankbar anzunehmen, was ihr via Schwan in den Schoß gefallen war. Zu beschränkt, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, war sie auch noch zu dumm, den Mund zu halten. Sie war diesen Mann nicht wert.
    Tage vergingen, mit Bemühungen um Tangenten und Conditionalis, um Reflexivpronomen, verneinten Wunsch und verneinte Absicht; Aufsatzthemen wie »Glauben Sie, dass Reisen
bildet?« oder »Erwägen Sie Vor- und Nachteile des föderalen Systems«. Doch die Lohengrin-Geschichte ging mir nicht aus dem Kopf. Je länger ich darüber nachdachte, desto absurder erschien sie mir; nahm neue Perspektiven an, gestaltete sich um, bis sie sich fast ins Gegenteil verkehrte. Waren Elsa und der königliche Hof vor lauter Verlangen nach einem Retter am Ende verrückt? Bereit, jedem zu verfallen, der sich mit selbstbewusstem Hokuspokus in Szene setzte? Lohengrin ein Blender, der alle blind machte, bis auf zwei: Ortrud und - da diese ihm die Augen öffnete - Telramund, ihr Mann? Waren diese beiden wirklich die Schufte in dem Stück oder die Einzigen mit klarem Kopf? Die Lohengrins Aufschneiderei durchschauten? Hatten sie nicht vollkommen recht, einen dahergelaufenen Fremden nach Name und Herkunft zu fragen? Hieß es nicht: Nomen est omen? Noch der letzte Gastarbeiter aus Apulien oder Kastilien konnte Pass und Arbeitserlaubnis vorweisen. Wer nichts zu verbergen hat, kann auch heraus mit der Sprache. Und wenn der Ritter dann wieder mit demselben Hokuspokus verschwindet wie bei seinem Erscheinen, wer sollte ihm da abkaufen, er sei von Gott gesandt? Kam Lohengrin womöglich nicht aus einem gutem Stall? Vielleicht waren Ortrud und Telramund, Elsas Feinde, nahe dran, seine wahre Herkunft zu decken - da musste der angebliche Retter sie erschlagen. Hatte er am Ende sogar seine Hand bei der Entführung von Elsas Bruder im Spiel gehabt? Denn der taucht plötzlich wieder auf, obwohl er, Lohengrin, vorher behauptet hatte, Ortrud habe ihn getötet.
    Eine verwickelte und unangenehme Geschichte. War Lohengrin ein Held oder ein Hochstapler? Elsa ein frommes Mädchen oder eine dumme Nuss? Ortrud eine Hexe oder eine Frau mit Durchblick und gerade deswegen als Hexe verschrien? Oder liebte Elsa ihren Retter wirklich und konnte es nicht ertragen, dass er sich ihr nicht anvertrauen wollte?
    Viel Zeit, den Fragen auf den Grund zu gehen, hatte ich nicht. Die Nominalformen des Lateinischen wollten gelernt, Shakespeare’s Realism bestimmt werden. Meyer quälte mit
Logarithmus und Exponentialfunktion, und Rebmann wollte wissen - These, Antithese, Synthese: »Hat ein junger Mensch Ihres Alters Anspruch auf einen Hausschlüssel?«
    Wichtiger war die Frage: Was ziehe ich zum Lohengrin -Abend an? Das kleine Schwarze hing nach dem abrupten Ende meiner Grabpflege nach wie vor im Konjunktiv.
    »Immer richtig angezogen«, wusste Frau Dr. Oheim. »Man darf anders denken als seine Zeit, aber man darf sich nicht anders kleiden«, wurde das Kapitel mit einem Zitat von Marie von Ebner-Eschenbach eingeleitet. »Ein Kleid kann noch so geflickt, ein Strumpf gestopft, ein Mantel gewendet sein - das saubere, gepflegte alte Stück steht immer noch über dem vernachlässigten neuen.«
    Sauber und ordentlich, da konnte ich mithalten; geflickt und gestopft, da stand ich sogar drüber. Ich hätte das Kleid von Godehard anziehen können. Die Kette mit den bunten Steinen dazu. Zurückschlüpfen in eine abgeworfene Haut. Die Seide rauschte erwartungsvoll, als ich es aus dem Schrank nahm. Und

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