Auferstehung 1. Band
wieder den Kopf erhob und das Verhör fortsetzte.
»Sie haben noch nie vor Gericht gestanden?«
»Nie,« versetzte die Maslow seufzend mit leiser Stimme.
»Sie haben die Anklageakte zugestellt erhalten?«
»Ja,« erwiderte sie.
»Setzen Sie sich!«
Die Angeklagte raffte ihr Kleid auf, wie die Frauen in Balltoilette ihre Schleppen hochnehmen, setzte sich und steckte ihre Hände in die Ärmel ihres Kittels, ohne den Präsident mit den Augen zu verlassen. Ihr Gesicht hatte wieder seine ruhige Blässe angenommen. Man nahm die Aufzählung der Zeugen vor, ließ, dieselben hinausgehen, beschäftigte sich dann mit dem Gerichtsarzt, den man zu den Zeugen in den Saal schickte, wo sie warten mußten, bis man sie wieder hereinrief.
Dann erhob sich der Aktuar und begann die Verlesung der Anklage. Er las mit lauter und deutlicher Stimme, doch so schnell, daß seine Worte nur ein dumpfes, einschläferndes Geräusch erzeugten.
Die Richter drehten sich auf ihren Sesseln hin und her und warteten in sichtlicher Ungeduld auf die Beendigung der Verlesung. Einer der Gensdarmen hatte große Mühe, ein Gähnen zu unterdrücken.
Auf der Anklagebank bewegte Kartymkin noch fortwährend die Lippen; die Botschkoff saß mit vollständig ruhiger Miene da und schob zeitweise mit dem Finger ihre Haare unter das Kopftuch; die Maslow blieb unbeweglich, die Augen auf den Aktuar gerichtet, sitzen;zwei- oder dreimal stieß, sie einen Seufzer aus und veränderte die Lage ihrer Hände.
Nechludoff, der in der ersten Reihe der Geschworenen auf seinem hohen Sessel saß, betrachtete noch immer die Maslow, und in seiner Seele vollzog sich eine tiefe und schmerzliche Arbeit.
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Die Anklageakte lautete folgendermaßen: Am 17 Oktober 188.., meldete der Wirt des Mauritania-Hotels in dieser Stadt den plötzlichen Tod eines in diesem Hotel logierenden sibirischen Kaufmanns zweiter Gilde, Namens Ferapont Smjelkoff. Der von dem Arzt der vierten Abteilung ausgestellte Totenschein besagte, daß der Tod Smjelkoffs infolge eines durch übermäßigen Genuß spirituöser Getränke hervorgerufenen Herzschlages eingetreten war; und die Leiche Smjelkows wurde drei Tage nach dem Tode regelrecht bestattet. Am vierten Tage nach dem Hinscheiden Smjelkoffs lenkte ein Geschäftsfreund und Landsmann des letzteren, der sibirische Kaufmann Timotschin, der aus St. Petersburg kam und sich nach den näheren Umständen des Todesfalles erkundigt hatte, den Verdacht darauf, daß Smjelkoff keines natürlichen Todes gestorben war. Derselbe wäre vielmehr von Verbrechern vergiftet worden, die sich dann eines Brillantringes und einer bedeutenden Geldsumme bemächtigt, die Smjelkoff in seinem Besitz hatte und die sich in dem nach seinem Tode aufgenommenen Inventar nicht vorfand.
Es wurde infolgedessen eine Untersuchung eingeleitet, die folgendes zu Tage förderten:
1. Daß der besagte Smjelkoff nach Wissen des Wirtes des Mauritania-Hotels und auch des Prokuristen des Kaufmanns Starikoff, mit dem Emjelkoff bei seiner Ankunft in der Stadt geschäftlich zu thun gehabt, eine Summe von 3800 Rubeln in seinem Besitz haben mußte, die er in einem Bankhause der Stadt erhoben, während man andererseits nach seinem Tode in seinem Koffer und in seiner Brieftasche nur 312 Rubel und 16 Kopeken vorfand. Es wurde festgestellt
2. daß Smjelkoff den Tag vor seinem Tode mit der unverehelichten Ljubka zusammen gewesen war, die zweimal sein Zimmer betreten hatte;
3. daß besagte Ljubka ihrer Wirtin einen Brillantring abgelassen hatte, der dem Kaufmann Smjelkoff gehört;
4. daß die Dienstfrau des Hotels, Euphemia Botschkoff, am Tage nach dem Tode des Kaufmanns Smjelkoff eine Summe von 1800 Rubel auf ihr Konto bei der Handelsbank hatte eintragen lassen;
5. daß der Hoteldiener, Simon Kartymkin, nach der Aussage der Ljubka ihr einige Pulver übergeben und ihr angeraten hatte, dieselben in den Branntwein zu schütten, die der Kaufmann Smjelkoff trinken sollte, was die Ljubka nach ihrem eigenen Geständnis gethan hat.
Auf Befragen des Untersuchungsrichters erklärte die Ljubka, der Kaufmann Smjelkoff habe sie aus dem Freudenhaus in das Hotelzimmer geschickt, das er in der »Mauritania« bewohnte, um dort Geld zu holen; sie habe den Koffer des Kaufmanns mit dem Schlüssel geöffnet, den er ihr gegeben, und daraus, wie er es ihr gefügt, 40 Rubel genommen. Sie hat erklärt, kein anderes Geld genommen zu haben, was Simon Kartymkin und Euphemia Botschkoff, in deren Gegenwart sie den Koffer geöffnet und
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