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Auferstehung 1. Band

Auferstehung 1. Band

Titel: Auferstehung 1. Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo N. Tolstoi
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»Sie wünschen eine Frage zu stellen?« fragte der Präsident, und gab ihm auf seine bejahende Antwort zu verstehen, daß er sprechen könnte. »Die Frage, die ich stellen möchte, ist folgende: kannte die Angeklagte Simon Kartymkin schon vorher?« fragte der Staatsanwalt feierlich, ohne die Maslow anzublicken. Als er dann die Frage gestellt, biß er die Lippen zusammen und zog die Stirn kraus. Die Maslow warf einen erschrockenen Blick auf den Staatsanwalt.
    »Simon? Ja, den kannte ich,« sagte sie.
    »Ich möchte wissen, worin die Beziehungen der Angeklagten zu Kartymkin bestanden? Sahen Sie sich oft?«
    »Worin unsere Beziehungen bestanden? Er empfahl mich den Hotelgästen, aber das waren keine Beziehungen,« versetzte die Maslow, und ließ einen unruhigen Blick von dem Staatsanwalt zu dem Präsidenten und umgekehrt schweifen.
    »Sollte sie mich erkannt haben?« dachte Nechludoff, auf dem die Augen der Angeklagten eine Sekunde haften geblieben waren, und das Blut strömte ihm ins Gesicht, doch die Maslow hatte ihn unter den anderen Geschworenen nicht bemerkt, und ihre erschrockenen Blicke schnell wieder dem Staatsanwalt zugewendet.
    »Die Angeklagte leugnet also, in näheren Beziehungen zu Kartymkin gestanden zu haben? Es ist gut, ich habe weiter nichts zu fragen.«
    Der Staatsanwalt nahm seinen Ellenbogen vom Tische, und begann etwas zu schreiben. In Wahrheit schrieb ergar nichts, sondern begnügte sich damit, mit seiner Feder über die Anklage zu fahren. Doch er hatte gesehen, daß die Staatsanwälte und Advokaten sich nach jeder von ihnen gestellten Frage stets in ihren Reden Bemerkungen notierten, die bestimmt waren, ihren Gegner zu erdrücken.
    Der Präsident, der sich während dieser Zeit ganz leise mit dem Richter mit der Brille unterhalten, wandte sich sofort wieder zu der Angeklagten und fragte, sein Verhör fortsetzend:
    »Und was ist dann vor sich gegangen?«
    »Es war in der Nacht,« erklärte die Maslow, die wieder bei dem Gedanken, sie hätte nur mit dem Präsidenten allein zu thun, Mut faßte. »Ich war in mein Zimmer gegangen und wollte mich schlafen legen, als das Dienstmädchen Bertha zu mir sagte: ›Geh hinunter, dein Kaufmann ist schon wieder da!‹ Er war wirklich da, und wollte Wein trinken, hatte aber kein Geld und schickte mich ins Hotel, um welches zu holen. Er hatte mir gesagt, wo sein Geld läge und wieviel ich nehmen sollte. Da bin ich denn gegangen.«
    Der Präsident unterhielt sich weiter leise mit seinem Nachbar, und hatte nicht gehört, was die Maslow eben gesagt. Um aber zu beweisen, daß er doch alles gehört, glaubte er, ihre letzten Worte wiederholen zu müssen:
    »Sie sind gegangen, und dann?«
    »Ich bin ins Hotel gegangen und habe alles gethan, was der Kaufmann mir gesagt hatte; ich habe vier rote Zehnrubelscheine genommen,« sagte die Maslow und unterbrach sich von neuem, als überfiele sie eine plötzliche Furcht, dann fuhr sie fort: »Ich bin nicht allein in das Zimmer hineingegangen, sondern habe Simon Michaelowitsch gerufen, und die da auch,« sagte sie, auf die Botschkoff deutend, hinzu.
    »Sie lügt! ich bin nicht hineingegangen,« rief die Botschkoff, doch der Nuntius unterbrach sie.
    »In ihrer Gegenwart habe ich die vier roten Scheine genommen!«
    »Ich möchte wissen, ob die Angeklagte, als sie die 40 Rubel nahm, gesehen hat, wieviel Geld sich in dem Koffer befand?« fragte der Staatsanwalt von neuem.
    »Ich habe nichts gesehen, höchstens, daß Hundertrubelscheine drin lagen.«
    »Und dann haben Sie das Geld zurückgebracht?« fuhr der Präsident, auf seine Uhr sehend, fort.
    »Ja!«
    »Und dann?«
    »Dann hat mich der Kaufmann wieder auf sein Zimmer kommen lassen!« sagte die Maslow.
    »Hm! und wie haben Sie ihm das Pulver eingegeben?« fragte der Präsident.
    »Ich habe es in ein Glas geschüttet, und er hat es getrunken!«
    »Und warum haben Sie es ihm gegeben?«
    »Um von ihm fortzukommen!« sagte sie seufzend, »Ich ging auf den Korridor und sagte zu Simon Michaelowitsch: ›Wenn er mich nur fortließe‹. Und Simon Michaelowitsch meinte: ›Uns langweilt er auch. Geben wir ihm ein Schlafpulver‹. Ich glaubte, es wäre ein ganz harmloses Pulver und nahm es, um es in sein Glas zu schütten. Als ich wieder hineinkam, befand er sich im Alkoven und befahl mir, ihm Cognac zu bringen. Da nahm ich die Flasche fine Champagne vom Tisch, füllte zwei Gläser für mich und ihn, schüttete das Pulver in sein Glas und brachte es ihm. Ich glaubte, es wäre ein

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