Auferstehung 1. Band
vorüberkam, hörte er, wie die alte Wirtschafterin ruhig schnarchte. Schon wollte er seinen Weg fortsetzen, als Matrena Pawlowna zu husten anfing und sich auf ihrem Bette umdrehte. So vergingen fünf Minuten. Als wieder alles schwieg und er wieder das Schnarchen der Alten vernahm, setzte Nechludoff leise seinen Weg fort. Endlich stand er vor Katuschas Thür. Kein Atemzug ließ sich hören; offenbar schlief sie nicht. Doch kaum hatte er »Katuscha« geflüstert, als sie zur Thür stürzte und ihn in zornigem Tone gehen hieß.
»Wo denken Sie hin? Ihre Tanten werden wach werden!« sprachen ihre Lippen; doch ihr ganzes Wesen sprach: »Ich gehöre dir mit Leib und Seele!« und nur das allein hörte Nechludoff.
»Ich bitte dich, öffne nur auf eine Minute!«
Es trat eine Pause ein; dann hörte Nechludoff, wie eine Hand im Dunkel nach dem Riegel tastete. Die Thür öffnete sich, und Nechludoff trat ins Zimmer. – – –
Als er sie verließ, ging er auf die Freitreppe hinaus und blieb dort stehen, um sich die Bedeutung des Vorgefallenen klar zu machen.
Draußen war es heller geworden; der Nebel begann zu fallen, und hinter dem Nebel erschien der Halbmond.
»Was ist das?« fragte sich Nechludoff. »Ist mir ein großes Glück oder ein großes Unglück widerfahren?«
»Ah bah!« sagte er sich , »das ist immer so; und jeder thut es!«
Dann ging er beruhigt in sein Zimmer, legte sich nieder und schlief sofort ein.
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Am nächsten Tage, dem Ostersonntag, holte ihn sein Freund Tschembock von seinen Tanten ab. Schön, glänzend und heiter entzückte er die alten Damen buchstäblich durch seine Beredtsamkeit, Höflichkeit, Freigebigkeit,und besonders durch die Zuneigung, die er für Nechludoff hegte. Seine Freigebigkeit gefiel ihnen zwar, doch sie fanden sie etwas übertrieben. Sie wunderten sich, als er einem blinden Bettler einen Rubel gab, den Dienern auf einen Schlag 15 Rubel schenkte und ohne Zögern ein Batisttaschentuch im Mindestwerte von 15 Rubel zerriß, um einer Magd den Fuß zu verbinden, den sie sich blutig gerissen hatte. Die würdigen Tanten hatten so etwas noch nie gesehen; sie wußten außerdem nicht, daß dieser Tschembock 200 000 Rubel Schulden hatte; da er fest entschlossen war, dieselben nie zu bezahlen, so kam es ihm auf 25 Rubel mehr oder weniger nicht an.
Tschembock verbrachte übrigens nur einen Tag bei den Tanten und reiste schon am Abend mit Nechludoff ab. Sie konnten ihren Aufenthalt nicht länger ausdehnen, da die Frist fast schon abgelaufen war.
Nechludoff dachte an diesem ersten Tage nur an die vorige Nacht. Zwei Gefühle kämpften in seiner Brust; einerseits gefiel er sich darin, den sinnlichen Genuß wieder wachzurufen und war stolz darauf, sein Ziel glücklich erreicht zu haben; andererseits hatte er die Empfindung, eine Dummheit begangen zu haben, die er wieder gut machen mußte, und zwar nicht in Katuschas Interesse, sondern in seinem eigenen, denn in dem Zustande der selbstsüchtigen Thorheit, in dem er sich damals befand, konnte Nechludoff nur an sich denken. Er fragte sich, was man wohl sagen würde, wenn man erführe, wie er sich dem jungen Mädchen gegenüber benommen, dachte aber keineswegs daran, was sie empfinden, noch was ihr zustoßen könnte.
So war er zum Beispiel sehr neugierig, ob Tschembock seine Beziehungen zu Katuscha erraten hätte.
»Also darum hast du plötzlich eine so große Zuneigung zu deinen Tanten gefaßt?« sagte Tschembock, als er das junge Mädchen erblickte, »Ich glaube, an deiner Stelle hätte ich meinen Urlaub auch verlängert; das ist ja eine wahre Schönheit!«
Nechludoff dachte nun, daß es doch eigentlich sehr vorteilhaft für ihn war, jetzt wegfahren zu müssen, denn so konnte er die Beziehungen abbrechen, die er doch nur sehr schwer hätte aufrecht erhalten können. Er dachte ferner daran, daß es seine Pflicht war, Katuscha Geld zu geben, nicht ihretwegen oder um ihr zu Hilfe zu kommen,sondern weil das jeder Ehrenmann unter solchen Umständen thut.
Nach dem Essen erwartete er sie auf dem Korridor, Sie wurde blutrot, als sie ihn erblickte und wollte entfliehen, indem sie auf die halboffenstehende Zimmerthür Matrenas zeigte. Doch er hielt sie am Arm zurück und sagte, während er ihr ein Kouvert, in das er einen Hundertrubelschein gelegt, in die Hand zu stecken versuchte:
»Ich wollte dich um Verzeihung bitten ... da, nimm ...«
Sie betrachtete das Kouvert, runzelte die Stirn und stieß die Hand des jungen Mannes zurück.
»Da nimm,«
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