Auferstehung 1. Band
für Katuscha getreten war, beherrschte ihn jetzt und herrschte allein in ihm. Er fühlte, daß er diesen Instinkt befriedigen mußte, und dachte nur noch an die Mittel dazu.
Den ganzen Abend war er unruhig; bald ging er zu seinen Tanten, bald trat er in sein Zimmer oder auf die Freitreppe hinaus. Und er hatte nur den einen Gedanken, Katuscha wiederzusehen, Diese aber wich ihm aus, und Matrena Pawlowna verlor ihn nicht aus den Augen.
----
So verging der ganze Abend, und die Nacht brach herein. Der Arzt ging zur Ruhe, und die Tanten traten in ihr Zimmer. Nechludoff wußte, daß Matrena Pawlowna in diesem Augenblick bei seinen Tanten war, denen sie beim Ausziehen half. Katuscha mußte also allein in der Küche sein.
Wieder ging Nechludoff auf die Freitreppe hinaus, Die Nacht war dunkel, feucht, warm, und die ganze Luft erfüllte der weiße Nebel, den der schmelzende Schnee im Frühling hervorbringt. Vom Fluß her vernahm man, hundert Schritt vom Hause, ein seltsames Geräusch; das Eis brach.
Nechludoff stieg die Freitreppe hinunter und ging, durch die Lachen des geschmolzenen Schnees watend, bis zum Küchenfenster. Das Herz klopfte ihm so stark, daß er es hörte.
In der Küche brannte eine kleine zitternde Lampe. Katuscha saß allein am Tische und starrte nachdenklich vor sich hin. So blieb sie mehrere Minuten, erhob dann die Augen, lächelte und nickte, als wenn sie mit sich selbst spräche; darauf legte sie die Hände auf den Tisch und starrte wieder vor sich hin.
Er betrachtete sie weiter und lauschte dabei unwillkürlich auf die Schläge seines Herzens und auf das seltsame Geräusch, das vom Flusse herkam. So blieb er vor dem Fenster stehen und beobachtete auf dem müden und sinnenden Gesicht Katuschas die Spuren der Arbeit,die sich in ihr vollzog; er hatte Mitleid mit ihr, doch seltsamerweise bestärkte ihn dieses Mitleid nur noch mehr in seinem Wunsche.
Er klopfte aus Fenster, und wie von einem elektrischen Schlage getroffen erbebte sie am ganzen Körper und Schrecken malte sich aus ihren Zügen. Dann sprang sie auf, stürzte nach dem Fenster und drückte das Gesicht an die Scheiben. Der Ausdruck der Angst verschwand auch nicht, als sie Nechludoff erkannte. Sie sah ernster aus, als der junge Mann sie je gesehen hatte. Erst als er ihr zulächelte, lächelte auch sie; und sie that das nur aus Unterwürfigkeit, denn er sah wohl, daß in ihrer Seele keine Freude, sondern einzig und allein nur Furcht und Entsetzen lebte.
Er machte ihr ein Zeichen, sie solle zu ihm auf den Hof kommen; doch sie schüttelte den Kopf und blieb am Fenster stehen. Wieder drückte er sein Gesicht an die Scheibe und wollte ihr zurufen, sie solle herauskommen; doch in demselben Augenblick wandte sie sich nach der Thür um. Jedenfalls hatte sie jemand gerufen.
Nechludoff entfernte sich vom Fenster. Der Nebel war so dicht geworden, daß man fünf Schritt weit die Fenster nicht sehen konnte, sondern nur eine große, dunkle Masse, aus der das rote Licht einer Lampe strahlte. Plötzlich krähte ein Hahn; andere antworteten ihm auf dem Hofe; und wieder andere ließen im Dorfe ihr Gekrähe ertönen, das in einem und demselben lauten Lärm verschmolz. Rings umher war alles still; nur der Fluß setzte sein Werk fort.
Nechludoff ging vor dem Hause ein paarmal auf und ab und näherte sich dann wieder dem Küchenfenster. Beim Lampenschein sah er Katuscha wieder am Tische sitzen. Noch kaum war er näher getreten, als sie die Augen auf das Fenster richtete. Er klopfte, und sie verließ sofort die Küche; er hörte, wie sich die Thür knirschend öffnete und wieder schloß. Er lief nach der Freitreppe und umschlang sie sofort, ohne ein Wort zu sprechen, Sie schmiegte sich an ihn an, erhob den Kopf und bot ihre Lippen seinem Kusse dar. So blieben sie an der Ecke des Hauses an einer trockenen Stelle stehen; und Nechludoff fühlte, wie das Verlangen nach ihr immer stärker wurde. Plötzlich hörten sie wieder die Thür gehen, und Matrena Pawlownas zornige Stimme rief in die Nacht hinaus: »Katuscha!«Sie entriß sich seinen Armen und lief zur Küche. Er hörte, wie der Riegel vorgeschoben wurde; dann wurde wieder alles still, und das rote Licht der Lampe erlosch.
Nechludoff näherte sich dem Fenster; doch er konnte nichts sehen. Er klopfte; niemand gab Antwort. Er ging ins Haus in sein Zimmer, legte sich aber nicht schlafen. Eine halbe Stunde später zog er seine Stiefel aus und ging nach Katuschas Schlafzimmer. Als er an Matrena Pawlownas Zimmer
Weitere Kostenlose Bücher