Auferstehung 1. Band
murmelte er und steckte ihr das Kouvert in das Mieder. Dann zog auch er die Stirn kraus, seufzte, als wenn er sich verletzt hätte, und lief in sein Zimmer, wo er noch lange Zeit auf und nieder ging. Doch was sollte er thun, handelte nicht jeder ebenso? Hatte nicht Tschembock ebenso bei einer Gouvernante gehandelt, die er verführt? Hatte nicht sein Onkel Gregor dasselbe gethan? War nicht sein Vater ebenso verfahren, als ihm eine Bäuerin den natürlichen Sohn schenkte, der jetzt noch lebte? Wenn es alle so trieben, so mußte man eben auch so handeln. Mit solchen Gründen suchte er sich zu beruhigen, ohne daß es ihm aber vollständig gelang. Die Erinnerung an die letzte Zusammenkunft mit Katuscha brannte auf seinem Gewissen. Im tiefsten Grunde seines Herzens fühlte er, daß er so gemein, so häßlich und grausam gehandelt, daß er von jetzt ab nicht nur das Recht verloren, jemanden zu beurteilen, sondern überhaupt einem Menschen ins Gesicht zu sehen. Trotzdem war er gezwungen, sich als einen Mann von Adel, Ehre und Großmut zu betrachten, denn nur um diesen Preis konnte er das Leben, das er führte, fortsetzen. Dazu gab es aber nur ein einziges Mittel; er durfte an das, was er gethan, nicht denken.
Die neue Existenz, die sich ihm eröffnete, das Reisen, die Kameraden, der Krieg machten ihm die Sache leicht, und je mehr Zeit verging, desto mehr vergaß er, so daß er schließlich alles vergessen hatte.
Dennoch schnürte sich ihm das Herz zusammen, als er mehrere Monate nach dem Kriege wieder seine Tanten besuchte und dort erfuhr, Katuscha wäre nicht mehr bei ihnen, hätte das Haus kurz nach seiner Abreise verlassen, einKind zur Welt gebracht und wäre nach Aussage der beiden alten Damen vollständig verkommen. Als die Tanten ihm das erzählten, hatten sie hinzugefügt, Katuscha wäre, bevor sie sie verließ, völlig verdorben; sie wäre überhaupt eine lasterhafte und schlechte Natur wie ihre Mutter.
Dieses Urteil von seiten der beiden Tanten gefiel Nechludoff, denn er fühlte sich dadurch gewissermaßen gerechtfertigt und beruhigt. Trotzdem hatte er zuerst die Absicht gehabt, Katuscha und das Kind zu suchen; da ihm aber im Grunde genommen die Erinnerung an sein Benehmen immer noch peinlich war und er sich dessen schämte, so that er die beabsichtigten Schritte nicht, vergaß seine Schuld noch mehr und dachte schließlich gar nicht mehr daran.
Jetzt aber rief ihn ein merkwürdiger Zufall wieder alles ins Gedächtnis zurück und brachte ihm die Selbstsucht, Grausamkeit und Gemeinheit zum Bewußtsein, die es ihm ermöglicht hatten, mit einem solchen Verbrechen auf der Seele neun Jahre lang ruhig zu leben. Doch noch war ihm das Bewußtsein seiner Unwürdigkeit durchaus nicht klar geworden, und in diesem Augenblick dachte er nur an die Mittel, einer Entdeckung vorzubeugen, damit Katuscha und ihr Verteidiger ihn in den Augen aller andern nicht bloßstellen konnten.
Sechstes Kapitel
In dieser Gemütsverfassung befand sich Nechludoff, während er im Geschworenenzimmer die Wiederaufnahme der Sitzung erwartete. Er sah am Fenster, hörte kaum auf die Unterhaltungen seiner Kollegen und rauchte unaufhörlich Cigaretten.
Der Obmann der Geschworenen gab Erklärungen ab, aus denen man schließen konnte, der ganze Knotenpunkt der Sache ruhe auf den gerichtlichen Sachverständigen. Peter Gerassimowitsch scherzte mit dem jüdischen Kommis, und alle beide lachten laut.
Als der Gerichtsdiener mit seinem hüpfenden Gange in das Zimmer trat, um die Geschworenen wieder hereinzurufen, empfand Nechludoff ein Gefühl der Angst, als sollte er nicht urteilen, sondern abgeurteilt werden. ImGrunde seines Herzens war er sich jetzt klar, daß er ein erbärmlicher Mensch war, der den andern nicht ins Gesicht sehen durfte. Trotzdem war die Kraft der Gewohnheit so stark in ihm, daß er mit dem sichersten Schritte wieder auf die Estrade stieg und seinen Sessel in der ersten Reihe, ganz in der Nähe des Präsidenten, wieder einnahm; darauf kreuzte er ruhig seine Beine und fing an, mit seinem Pincenez zu spielen. Auch die Angeklagten waren aus dem Saale geführt worden, und wurden jetzt wieder hereingebracht.
Neue Gestalten erschienen auf der Estrade; das waren die Zeugen; Nechludoff bemerkte, daß Katuscha eifrige Blicke aus eine dicke, in Samt und Seide gekleidete Dame warf, die einen großen Hut mit riesigen Bändern trug. Diese Dame saß in der ersten Zeugenreihe und hielt einen höchst eleganten Beutel in der Hand. Das war, wie
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