Auferstehung 1. Band
Gesellschaftsklasse benehmen würden, und faßte sie um die Taille.
Sie blieb stehen und sagte, ihm in die Augen sehend, blutrot und dem Weinen nahe:
»Das ist nicht recht, Dimitri Iwanowitsch; das ist nicht recht!«
Dann schob sie den Arm, der sie umschlungen hielt, mit ihren kleinen, kräftigen Händen zurück.
Nechludoff ließ sie los. Er hatte plötzlich eine Empfindung nicht nur der Scham und des Unbehagens, sondern auch des Widerwillens gegen sich selbst. In diesem Moment hätte er an sich glauben können, doch er begriff nicht, daß diese Scham und dieser Widerwille der Ausdruck seiner Seele waren; er bildete sich vielmehr ein, seine Dummheit spräche aus ihm, und es wäre seine Pflicht, wie jeder andere zu handeln.
Von neuem verfolgte er Katuscha, faßte sie um die Taille und drückte ihr einen Kuß auf den Hals.
Dieser Kuß hatte mit denen, die er ihr früher gegeben, nichts gemein; sein jetziger Kuß hatte etwas Schreckliches, und das fühlte sie auch.
»Was thun Sie?« rief sie mit entsetzter Stimme, riß sich los und entfloh, so schnell sie konnte.
Nechludoff begab sich in das Eßzimmer. Seine Tanten saßen in großer Toilette mit dem Arzt und einer Nachbarin bereits bei Tische. Alles ging wie sonst zu, doch in Nechludoffs Seele grollte der Sturm. Er verstand nicht, was man ihm sagte, antwortete verkehrt, und dachte stets nur an Katuscha. Plötzlich vernahm er ihren Schritt auf dem Gange, und von diesem Augenblick an hörte er nichts weiter mehr. Als sie in den Saal trat, sah er sie nicht an, fühlte aber mit seinen ganzen Wesen ihre Anwesenheit.
Nach dem Essen ging er gleich wieder in sein Zimmer. Erregt ging er lange auf und ab, und lauschte, in der Erwartung, Katuschas Schritt zu vernehmen, auf das leiseste Geräusch im Hause. Das in ihm lebende Tier hatte nicht nur das Haupt erhoben, sondern das liebende, selbstlose Wesen, das er bei seinem ersten Aufenthalt, und noch am Morgen desselben Tages in der Kirche gewesen war, vollständig unterdrückt. Jetzt herrschte nur noch das Tier in seiner Seele.
Obwohl er dem jungen Mädchen fortwährend nachspionierte,konnte er sie den ganzen Tag über nicht ein einziges Mal allein sprechen. Sie wich ihm offenbar aus. Gegen Abend aber mußte sie ein Zimmer neben dem seinigen betreten. Der Arzt wollte bis zum nächsten Morgen bleiben, und Katuscha hatte den Auftrag erhalten, ein Zimmer für ihn für die Nacht herzurichten. Als Nechludoff ihre Schritte vernahm, schlich er geräuschlos und den Atem anhaltend, als wolle er ein Verbrechen begehen, in das Zimmer, in das sie hineingegangen war.
Katuscha hatte die beiden Hände in einen Ueberzug gesteckt und wollte eben ein Kissen hineindrücken, als sie hörte, wie die Thür sich öffnete. Sie wandte sich nach Nechludoff um und lächelte ihm zu, doch das war nicht mehr ihr vertrauensvolles und fröhliches Lächeln von früher, das war ein klägliches, entsetztes Lächeln. Es schien Nechludoff zu sagen, daß das, was er that, schlecht war, und daß er es nicht thun durfte. Und tatsächlich hielt Nechludoff einen Augenblick inne; der Kampf der beiden Männer in ihm entspann sich von neuem. Zum letztenmal hörte er, aber nur schwach, die Stimme seiner aufrichtigen Liebe zu ihr, die ihm von ihr, ihren Gefühlen und ihrem Leben sprach. Doch sofort sagte ihm eine andere Stimme: »Gieb acht; du wirst dir dein Vergnügen entgehen lassen!« Diese erste Stimme erstickte die andere. Entschlossen schritt er auf das junge Mädchen zu, und ein bestialisches, unwiderstehliches Gefühl bemächtigte sich seiner.
»Dimitri Iwanowitsch, mein Liebling, lassen Sie mich bitte,« sagte sie mit flehender Stimme. »Matrena Pawlowna kommt!« fügte sie, sich losreißend, hinzu.
Es kam tatsächlich jemand.
»Höre! ich werde in der Nacht zu dir kommen« flüsterte ihr Nechludoff zu. »Du wirst allein sein, nicht wahr?«
»Was wollen Sie? Warum? Nein, nein! Das ist nicht recht,« sagte sie; doch nur ihre Lippen sprachen das; ihre ganze erregte, erschütterte Persönlichkeit redete anders.
Matrena Pawlowna trat in das Zimmer. Sie brachte Handtücher für den Arzt. Sie warf Nechludoff einen vorwurfsvollen Blick zu und schalt Katuscha aus, die es vergessen hatte, die Servietten zu holen.
Nechludoff ging schnell hinaus, doch er schämte sich nicht mehr. An Matrena Pawlownas Blick hatte er gesehen, daß sie ihn im Verdacht hatte und daß das, was er that, schlecht war; doch der bestialische Instinkt, der an die Stelle seiner alten Liebe
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