Auferstehung 2. Band (German Edition)
nicht die Kraft fand, sein Geständnis weiter fortzusetzen.
In diesem Augenblick wurde das Zeichen gegeben, daß die Besuchsstunde zu Ende war. Der Aufseher näherte sich Nechludoff und sagte ihm, der Moment, die Unterredung zu beenden, wäre gekommen. Die Maslow erhob sich und betrachtete Nechludoff mit freundlichem Blick, doch im Grunde war sie hocherfreut, ihn loszuwerden.
»Auf Wiedersehen; ich habe Ihnen noch viel zu sagen,« sagte Nechludoff und reichte ihr die Hand.
Die Maslow berührte die Hand, drückte sie ihm aber nicht.
»Ich werde Sie wieder besuchen und Ihnen dann sehr wichtige Dinge sagen, die ich Ihnen sagen muß!« fügte Nechludoff hinzu.
»Es ist gut! Kommen Sie! Es wird mich freuen,« versetzte sie, und fand für ihn das Lächeln wieder, das sie bei solcher Gelegenheit ihren »Kunden« zu teil werden ließ.
»Sie stehen mir näher als eine Schwester!« sagte Nechludoff noch.
»Was sagen Sie da?« fragte sie, ohne sich darüber weiter zu wundern, und lief mit einem letzten Lächeln zur Thür.
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Nechludoff hatte sich eingebildet, Katuscha würde sich freuen, wenn sie ihn wiedersah und wenn er ihr seine Reue und seine Absicht, ihr zu Hilfe zu kommen, entdecken würde, Rührung empfinden und gleich wieder die alte Katuscha werden. Doch er mußte sich sagen, daß Katuscha nicht mehr existierte und nur noch die Maslow vorhanden war, und dieser Gedanke setzte ihn in Erstaunen.
Vor allem aber wunderte er sich, daß Katuscha sich ihres Standes als Prostituierte nicht nur nicht schämte, sondern darüber sogar glücklich und fast stolz war, während sie sich ihres Standes als Gefangene sehr schämte.
Das war aber im Grunde gar nicht so verwunderlich. Wir alle müssen, um wirken zu können, unsere Art der Betätigung als bedeutend und schön betrachten; daher kommt es, daß jedes menschliche Wesen, seine Stellung mag sein, welche sie wolle, sich vom Leben eine Auffassung zurechtmacht, in der ihm seine besondere Bethätigungsart als richtig und schön erscheint.
Man redet sich gern ein, der Mörder, der Verräter, der Dieb, die Dirne erröten über ihr Handwerk oder halten es doch wenigstens für schlecht. In Wirklichkeit geschieht nichts dergleichen. Die Menschen, die ihr Geschick und ihre Fehler in eine bestimmte Lage gebracht haben, bilden sich, so unmoralisch dieselbe auch sein mag, immer eine allgemeine Lebensauffassung, in der ihre besondere Lage ihnen als berechtigt und bedeutend erscheinen kann. Um diese Ausnahme zu bekräftigen, stützen sie sich instinktiv auf andere Menschen, die sich in derselben Lage wie sie befinden, und das Leben im allgemeinen und ihren Platz in diesem Leben im besonderen in derselben Weise auffassen.
Wir sehen mit Erstaunen, wie Diebe sich ihrer Gewandtheit, Dirnen ihrer Sittenlosigkeit, Mörder ihrer Fühllosigkeit rühmen. Doch wir wundern uns darüber nur, weil die Zahl dieser Personen sehr beschränkt ist und ihr Kreis, ihre Atmosphäre sich außerhalb der unsrigen befinden. Doch wir sind z.B. nicht überrascht, daß reiche Leute auf ihren Reichtum, d.h. auf ihren Diebstahl, oder Mächtige auf ihre Macht, d.h. auf ihre Gewalttätigkeit und Grausamkeit stolz sind. Wir bemerken nicht, wie diese Leute ihre natürliche Lebensauffassung und ihre ursprüngliche Bedeutung von Gut und Böse umgestalten und vernichten, um ihre Lage in ihren eigenen Augen zu rechtfertigen. Wir wundern uns darüber nicht und denken gar nicht daran, uns darüber zu wundern; und zwar einzig und allein darum, weil der Kreis der Personen, der diese verrohte Auffassung hat, groß ist und wir selbst dazu gehören.
Eine Auffassung dieser Art hatte sich die Maslow vom Leben im allgemeinen und von ihrer eigenen Rolle im besonderen gebildet. Obwohl eine Dirne niedrigen Grades und zur Zwangsarbeit verurteilt, machte sie sich trotzdem eine Lebensauffassung zurecht, die ihr gestattete, ihr Benehmen zu rechtfertigen und sogar vor andern ihrer Art darauf stolz zu sein.
Diese Auffassung beruhte auf dem Gedanken, daß das hauptsächliche Glück aller Männer – aller, ohne Ausnahme, alter und junger, reicher und armer, gebildeter und ungebildeter – im körperlichen Besitz des Weibes bestände. Die Maslow nahm es als feststehend an, daß alle Männer, trotz der andern Gedanken, die sie angeblich im Kopfe hatten, in Wirklichkeit nur daran dachten; und da sie ein angenehmes Weib war, das diesen Wunsch der Männer nach ihrem Belieben befriedigen oder nicht befriedigen konnte, so hielt sie
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