Auferstehung 2. Band (German Edition)
sich gleichzeitig für eine unendlich wichtige und notwendige Persönlichkeit.
Das war ihre Lebensauffassung, und thatsächlich wurde dieselbe durch ihre ganze persönliche, augenblickliche wie frühere Erfahrung vollauf bestätigt.
Seit zehn Jahren hatte sie überall, wo sie gewesen war, bei allen Männern den Wunsch wahrgenommen, sie zu besitzen. Vielleicht war sie auch mit Männern zusammengekommen, die dieses Verlangen nicht empfunden hatten, doch diese waren ihr nie aufgefallen. So war ihr die ganze Welt als eine Vereinigung von Männern erschienen, die in ihren Körper verliebt waren, sie unermüdlich zu besitzen wünschten und sich durch gleichviel welche Mittel, durch Verführung, Gewalt, List oder Geld bemühten, ihren Körper zu genießen.
An diese Lebensauffassung hatte sich die Maslow um so fester angeklammert, als sie fühlte, daß sie, wenn sie sie verlor, in ihren eigenen Augen auch die Bedeutung verlor, die sie sich beigelegt, und um diese Bedeutung nicht einzubüßen, schloß sie sich instinktiv an den Kreis der Personen, die das Leben in derselben Weise auffaßten. Darum war sie auch so eifrig bemüht, die Erinnerungen an ihre erste Kindheit aus ihrem Herzen zu verjagen, denn diese paßten nicht zu ihrer augenblicklichen Lebensauffassung; in den tiefsten Winkel ihres Herzens hatte sie sie zurückgedrängt, eingesargt und, so gut es ging, vermauert, wie die Bienen den Eingang zu den Nestern bestimmter Insekten verstopfen, die im stande sind, ihren Stock zu zerstören. Darum hatte sie in Nechludoff, als sie ihn wiedersah, nicht mehr den Mann sehen wollen, den sie früher keusch und unschuldig geliebt: darum wollte sie nur einen reichen Kunden in ihm sehen, einen Menschen, aus dem Nutzen zu ziehen sie das Recht und die Pflicht hatte, und mit dem sie Beziehungen unterhalten konnte wie mit den anderen Männern ihrer Kundschaft.
»Nein, das Wichtigste, was ich ihr zu sagen hatte, konnte ich ihr heute nicht sagen, ich konnte es nicht,« dachte Nechludoff, als er das Sprechzimmer mit der Schar der Besucher verließ. »Doch das nächste Mal werde ich ihr alles sagen!«
In dem großen Saale zählten die beiden Aufseher von neuem die Vorübergehenden, damit kein Gefangener hinauskam und kein Besucher im Gefängnis blieb. Und von neuem stieß man Nechludoff und schlug ihn auf die Schulter. Doch er bemerkte es jetzt nicht einmal.
Zwölftes Kapitel
Am Tage, nachdem er Katuscha auf der Anklagebank wiedergesehen, hatte Nechludoff den Entschluß gefaßt, seine Lebensweise zu ändern; er hatte beschlossen, sein Haus zu vermieten, seine Dienerschaft zu entlasten und wie ein Student in einem möblierten Zimmer zu wohnen.
Doch Agrippina Petrowna bewies ihm, es wäre eine Thorheit von ihm, seine Lebensweise vor dem Winter zu ändern, denn niemand würde das Haus im Sommer mieten, niemand die Möbel kaufen, und er müßte dieselben bis zum Winter irgendwo unterstellen. Daher blieben die Bemühungen Nechludoffs in diesem Punkte und seine schönen Entschlüsse wirkungslos.
Es ging nicht nur alles in seinem Hause genau so wie vorher weiter, nein, man begann sogar die Möbel, Pelze, Kleidungsstücke und Wollsachen zu bürsten, abzustäuben und auszubessern; eine Arbeit, an der der Portier und sein Gehilfe, die Köchin und der Wiener Kornej teilnahmen. Nechludoff sah, wie eine Menge Röcke, Uniformhosen, Pelze, die niemand mehr gebrauchen konnte, aus den Schränken genommen und auf Stricke gehängt wurden; er sah, wie man die Teppiche fortnahm und die Möbel von einem Zimmer ins andere schleppte; er wohnte unzähligen Reinigungen bei und mußte den Naphtalingeruch ertragen, der sich durch sämtliche Stuben verbreitete. Mit Erstaunen entdeckte er, welche ungeheure Menge unnützer Gegenstände er bis dahin in seinem Hause behalten hatte. Das alles hatte jedenfalls keine weitere Daseinsberechtigung und Bestimmung, als Agrippina Petrowna, Kornej, dem Portier, seinem Gehilfen und der Köchin Gelegenheit zu geben, ihre Zeit totzuschlagen, dachte er.
»Doch übrigens,« sagte er sich weiter, »es ist wahr: ich kann nicht daran denken, meine Lebensweise zu ändern, so lange das Schicksal der Maslow nicht entschieden ist. Alles hängt davon ab, was man mit ihr anfängt; ob man ihr die Freiheit wiedergiebt oder sie nach Sibirien schickt; denn in diesem Falle gehe ich mit ihr mit!«
Am festgesetzten Tage begab sich Nechludoff zu dem Advokaten Fajnitzin, der ein großes, prachtvolles Haus bewohnte, das mit seltenen
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