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Auferstehung 2. Band (German Edition)

Auferstehung 2. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 2. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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vielleicht hierherkommen lassen. Aber nur eine Minute!«
    »Maria Karlowna,« rief er der Aufseherin zu, »lassen Sie die Maslow hierherkommen! Es handelt sich um eine sehr dringende Angelegenheit!«
    Bald trat die Maslow durch eine Seitenthür ein. Sie näherte sich Nechludoff leise und betrachtete ihn von der Seite, ohne den Kopf zu erheben. Ihr krankhaftes, aufgedunsenes, blutleeres, aber immer noch angenehmes Gesicht war vollkommen ruhig; doch die schwarzen Augen glänzten unter den angeschwollenen Lidern in ungewöhnlichem Glanze.
    »Sie können sich hier ein oder zwei Minuten unterhalten!« sagte der Aufseher und trat diskret zur Seite.
    Nechludoff hatte sich auf eine in der Wand eingelassene Bank gesetzt; die Maslow blieb mit ehrerbietiger Miene vor dem Aufseher stehen, doch als er fortgetreten war, entschloß sie sich, zu Nechludoff heranzugehen und setzte sich, ihren Rock hochhebend, neben ihn auf die Bank.
    »Ich weiß, es wird Ihnen schwer, mir zu verzeihen,« begann Nechludoff, hielt von neuem inne, als wolle er Mut schöpfen, und fuhr dann fort:
    »Aber wenn es auch nicht mehr möglich ist, die Vergangenheit auszulöschen, so bin ich doch wenigstens jetzt entschlossen, alles zu thun, was in meinen Kräften steht. Sagen Sie mir ...«
    »Wie haben Sie mich denn nur aufgefunden?« unterbrach sie, ohne auf seine Fragen zu antworten, und richtete den Blick ihrer glänzenden Augen bald auf ihn, bald auf den Erdboden.
    »Mein Gott! Komm' du mir zu Hilfe! Lehre mich, was ich thun soll,« sagte sich Nechludoff, von dem lasterhaften und gemeinen Ausdruck, den er auf diesem blassen Gesicht las, ganz entsetzt.
    »Es war vorgestern, im Schwurgerichtssaal,« sagte er, »als man gegen Sie verhandelte. Ich war Geschworener ... Sie haben mich nicht erkannt?«
    »Nein, gar nicht! Wie hätte ich Sie erkennen sollen? Uebrigens habe ich auch niemand angesehen!« fügte sie hinzu.
    »Es ist also ein Kind gekommen?« fragte Nechludoff und fühlte, wie er rot wurde.
    »Gott sei Dank ist es gleich gestorben,« versetzte die Maslow mit kurzer, boshafter Stimme, indem sie die Augen abwandte.
    »Woran und wie?«
     
     
    »Ich war selbst krank und wäre fast gestorben!« fuhr sie fort, ohne die Augen zu erheben.
    »Und meine Tanten haben Sie fortgeschickt?«
    »Behält man eine Zofe, die ein Kind bekommt? Sobald sie bemerkten, daß ich in anderen Umständen war, haben sie mich abgelohnt ... Aber wozu auch darüber sprechen? Ich erinnere mich an nichts mehr, ich habe alles vergessen ... Das ist alles vorbei!«
    »Nein, es ist nicht vorbei! Es darf nicht vorbei sein! Ich will meine Schuld jetzt gutmachen.«
    »Es ist nichts gutzumachen! Was geschehen ist, ist geschehen und alles ist vorbei,« versetzte sie und richtete mit häßlichem, kläglichem und herausforderndem Lächeln ihre Blicke auf Nechludoff.
    Die Maslow hatte nicht erwartet, Nechludoff je wiederzusehen, vor allem nicht in diesem Augenblick und an diesem Orte. Deshalb hatte sie sein Anblick zuerst verletzt und ihr Dinge ins Gedächtnis zurückgerufen, an die sie nie mehr hatte denken wollen. Als sie Nechludoff wiedersah, hatte sie sich zunächst an die wunderbare Welt von Gefühlen und Träumen erinnert, die ihr ihre erste Liebe einst vorgezaubert; sie hatte sich erinnert, wie sie diesen Mann und wie er sie geliebt, doch auch an die Grausamkeit seines Treubruchs, die lange Reihe von Leiden und Demütigungen aller Art hatte sie gedacht, die diesen kurzen Augenblicken des Glückes gefolgt waren, und alle diese Erinnerungen thaten ihr weh. Doch da sie nicht die Kraft hatte, sich damit abzufinden, so nahm sie wieder einmal zu ihrem gewöhnlichen Mittel ihre Zuflucht, sie drängte diese schmerzlichen Erinnerungen in die tiefsten Tiefen ihrer Seele zurück.
    Als sie Nechludoff wiedersah, hatte sie ihn zuerst mit dem Jüngling verglichen, den sie einst geliebt; doch schon im nächsten Augenblick verzichtete sie darauf, da ihr das zu peinlich war. Jetzt war dieser elegant gekleidete Herr mit dem schönen, feingeschnittenen Bart für sie nur noch einer ihrer »Kunden«, die sich solcher Geschöpfe, wie sie eins war, bedienten, wenn sie sie brauchten, und deren sich Geschöpfe wie sie bedienen konnten, soweit ihnen das möglich war. Deshalb sah sie ihn jetzt so einschmeichelnd lächelnd an.
    Sie schwieg und überlegte, wie sie sich seiner am besten bedienen könnte.
    »Ja,« sagte sie, »alles ist aus! Und jetzt hat man mich zur Zwangsarbeit verurteilt!«
    Ihre Lippen zitterten,

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