Auferstehung 2. Band (German Edition)
in der Brust und das Herz klopfte ihm stärker. Die entscheidende Minute nahte.
Er trat bis zum Gitter vor, bahnte sich mit Mühe einen Weg und heftete seinen Blick auf die Maslow.
Sie stand hinter der Bäuerin mit den blauen Augen und schien lächelnd auf ihre Unterhaltung mit ihrem Manne zu lauschen. Anstatt des grauen Kittels, den sie am vorigen Abend trug, war sie ganz weiß gekleidet. Unter ihrem Kopftuch erschienen die reizenden Locken ihrer schwarzen Haare.
»Ich muß einen Entschluß fassen,« dachte Nechludoff, »Aber wie soll ich sie anrufen? Wenn sie mich doch sehen und von selber kommen möchte!«
Sie kam aber nicht auf diesen Gedanken, denn sie glaubte stets, Bertha oder Klara auftauchen zu sehen, und vermutete nicht, daß dieser elegante Besucher ihretwegen gekommen war.
»Wen wünschen Sie zu sprechen?« fragte die Aufseherin Nechludoff und blieb bei ihm stehen.
»Katharina Maslow!« versetzte Nechludoff, der nur mit großer Mühe sprechen konnte.
»Heda, Maslow!« rief die Aufseherin, »da ist jemand für dich!«
Die Maslow drehte sich plötzlich um, erhob den Kopf, streckte die Brust vor und näherte sich mit jenem Ausdruck des Eifers, den Nechludoff früher an ihr gekannt, dem Gitter, nachdem sie zwischen zwei Gefangenen durchgeschlichen war. Dann begann sie Nechludoff mit einem Gemisch von Ueberraschung und Erstaunen zu betrachten, erkannte ihn aber noch immer nicht. Doch schnell erriet sie in ihm nach seiner Kleidung einen reichen Mann und lächelte ihm zu.
»Sie sind meinetwegen gekommen?« fragte sie und drückte ihre lächelnden, etwas schielenden Augen an das Gitter.
»Ja, ich wollte ...«
Nechludoff hielt inne, denn er wußte nicht, ob er »Sie« oder »du« zu ihr sagen sollte. Endlich entschloß er sich zum »Sie« ...
»Ich wollte Sie sehen ... ich ...«
»Du langweilst mich mit deinen Geschichten,« rief ein neben ihm stehender Besucher, »hast du's genommen, ja oder nein?«
»Alle Tage kränker; sie stirbt,« rief man von der andern Seite.
Die Maslow konnte von dem, was ihr Nechludoff sagte, nichts verstehen. Doch am Ausdruck seines Gesichts erkannte sie ihn, während er sprach. Oder sie glaubte vielmehr ihn zu erkennen, denn einen Augenblick später sagte sie sich, sie hätte sich geirrt. Das Lächeln verschwand von ihren Lippen und in ihrer Stirn blieb eine Leidensfalte zurück.
»Man hört nicht, was Sie sprechen,« schrie sie augenblinzelnd, während sich ihre Stirn immer krauser zog.
»Ich kam ...«
»Ja, ich thue meine Pflicht; ich büße!« dachte Nechludoff, und kaum war ihm dieser Gedanke gekommen, als ihm Thränen die Augen und die Kehle füllten. Er klammerte sich mit den Fingern an das Gitter und schwieg, denn er fühlte, beim ersten Wort würde er in Schluchzen ausbrechen.
»So wahr Gott mich hört, ich weiß nichts davon!« rief eine Gefangene im Hintergrunde des Saales.
Die Aufregung hatte Nechludoffs Gesicht einen Ausdruck verliehen, daß die Maslow ihn sofort erkannte. Alle ihre Zweifel schwanden, aber sie glaubte doch, während sie ihn anblickte, sprechen zu müssen.
»Ich bin nicht recht sicher, daß ich Sie erkenne.«
Dabei überströmte eine plötzliche Röte ihre Wangen, und der Ausdruck ihrer Züge ward noch düsterer.
»Ich bin gekommen, dich um Verzeihung zu bitten,« sagte Nechludoff jetzt.
Er sagte das, so laut er konnte, mit eintöniger Stimme, wie eine auswendig gelernte Lektion.
Doch als er es gesagt, ergriff ihn eine heftige Scham, und er sah sich um. Doch er dachte, diese Scham wäre gut, und es wäre recht, sich so der Schande auszusetzen, und deshalb rief er, so laut er konnte:
»Verzeihe mir; ich habe schwer gesündigt gegen ...«
Sie stand unbeweglich hinter dem Gitter und verließ ihn nicht mit den Augen.
Er hatte nicht die Kraft, den Satz zu vollenden, und entfernte sich von dem Gitter, indem er sich bemühte, die Thränen zurückzuhalten, die seine Brust erschütterten.
Der Aufseher, der ihn hergebracht, war im Saale geblieben und der Scene jedenfalls mit den Augen gefolgt. Als er Nechludoff vom Gitter forttreten sah, ging er auf ihn zu und fragte ihn, warum er sich nicht weiter mit der Frau unterhalte, die er zu sprechen gewünscht. Nechludoff schnäuzte sich, faßte sich nach Möglichkeit und erwiderte:
»Es ist nicht möglich, durch das Gitter zu sprechen! Man versteht ja sein eigenes Wort nicht!«
Der Aufseher überlegte einen Augenblick und sagte dann:
»Hören Sie! Ich glaube, ich könnte die Gefangene
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