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Auferstehung 2. Band (German Edition)

Auferstehung 2. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 2. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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hinwegging und dafür andere Stellen betonte.
    »Berufung vor der Kassations-Kriminalkammer des Senats u.s.w. u.s.w. ... gegen das Urteil des Schwurgerichtshofes u.s.w. verurteilt die unverehelichte Katharina Maslow zur Strafe von u.s.w. u.s.w. ... Zwangsarbeit ... wegen Mordes begangen an der Person des ... u.s.w. ... auf Grund des Paragraphen u.s.w.«
    Hier hielt der Advokat inne und richtete die Augen auf Nechludoff. Trotz seiner langen Gewohnheit hörte er mit offenbarem Wohlgefallen das schöne Dokument, das er da zu stande gebracht.
    »Dieses Urteil,« fuhr er fort, »scheint aus so schweren gesetzlichen Irrtümern und Fehlern hervorgegangen zu sein, daß es nicht aufrecht erhalten bleiben darf. Erstens ist die Verlesung des Protokolls über den Leichenbefund des Kaufmanns Smjelkoff vor dem Schlusse vom Präsidenten unterbrochen worden.«
    »Aber der Staatsanwalt hat ja diese Verlesung gefordert!« sagte Nechludoff ganz überrascht.
    »O, das thut nichts! Die Verteidigung konnte sich darauf auch stützen.«
    »Aber dieses Dokument hatte doch für einen andern keinen Nutzen.«
    »Gleichviel; es ist immer ein Annullierungsgrund! Fahren wir fort: zweitens ist der Verteidiger der Maslow im Augenblick vom Präsidenten unterbrochen worden, als er die Personalien der Angeklagten charakterisieren wollte und die intimen Gründe ihres Falles auseinandersetzte, die nach Ansicht des Präsidenten mit der Sache nichts zu thun hätten; doch in Kriminalfällen ist, wie der Senat erst kürzlich festgestellt hat, die psychologische Erklärung des Charakters für die Abschätzung des Grades der Kriminalität von größter Wichtigkeit. Das ist der zweite Punkt!« sagte der Advokat, indem er die Augen von neuem auf Nechludoff richtete.
    »Der Verteidiger sprach sehr schlecht,« sagte dieser; »man konnte von dem, was er sprach, nichts verstehen.«
    »Das hatte ich geahnt; solch kleiner Schafskopf konnte nur dummes Zeug schwätzen. Aber schließlich kann man darin immerhin einen Grund zur Annullierung finden. Aber hören Sie die Fortsetzung: drittens hat der Präsident, im Gegensatz zu dem Artikel ... des Kriminalstrafverfahrens den Geschworenen nicht auseinandergesetzt, daß sie erklären konnten, die Maslow hätte, als sie dem Kaufmann Smjelkoff das Gift ins Glas schüttete, nicht die Absicht zu töten gehabt. Deshalb konnte das Urteil der Geschworenen zu stande kommen; hätte sie der Präsident dagegen von der Möglichkeit einer solchen Einschränkung unterrichtet, so hätte die von der Maslow begangene Handlung nicht als Mord, sondern als fahrlässige Tötung aufgefaßt werden können; das ist sehr wichtig!«
    »Aber das hätten wir ja selbst begreifen können, ohne daß man es uns zu erklären brauchte! Denn wir allein sind für den begangenen Irrtum verantwortlich!«
    »Endlich, viertens: ist die Antwort der Geschworenen in einer Form abgefaßt, die einen Widerspruch in sich schließt. Die Geschworenen haben anerkannt, daß die Maslow nicht schuldig ist, sich das Geld des Kaufmanns Smjelkoff angeeignet zu haben, während sie sie andererseits schuldig fanden, ihn vergiftet zu haben; daraus geht hervor, daß die Angeklagte nach Ansicht der Geschworenen wohl den Kaufmann Smjelkoff getötet hat, doch ohne die Absicht dazu zu haben, denn nur der Wunsch, ihn zu bestehlen, könnte eine solche Absicht bei ihr erklären. Infolgedessen fiel diese Antwort der Geschworenen unter den Artikel 817 und folgende, und der Präsident hätte die Pflicht gehabt, die Geschworenen auf den begangenen Irrtum aufmerksam zu machen und sie zur Fertigstellung einer neuen Antwort in ihr Beratungszimmer zurückzuschicken.«
    »Aber warum hat der Präsident das nicht gethan?«
    »Ja, das ist seine Sache,« versetzte Fajnitzin fröhlich.
    »Und glauben Sie, daß der Senat den Irrtum berichtigen wird?«
    »Das hängt von den Senatoren ab, in deren Hände die Berufung fällt. Hören Sie jetzt die Schlußfolgerung!«
    Nun las der Advokat Nechludoff noch einen langen Abschnitt vor, in welchem er sich auf zahlreiche Artikel des Strafgesetzbuches und verschiedene Präcedenzfälle stützte; zum Schluß verlangte er, das Urteil solle kassiert und der Fall einem neuen Gericht vorgelegt werden.
    »So!« sagte der Advokat schließlich. »Alles, was man thun konnte, habe ich gethan; doch ich will Ihnen aufrichtig meine Ansicht sagen, wir haben fast keine Chancen, durchzudringen. Übrigens hängt alles von den Senatoren ab, die in der Kassationskammer sitzen. Wenn es

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