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Auferstehung 2. Band (German Edition)

Auferstehung 2. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 2. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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als sie diese schrecklichen Worte aussprach.
    »Ich wußte, ich war überzeugt. Sie wären nicht schuldig!«
    »Gewiß war ich nicht schuldig! Bin ich eine Diebin oder eine Giftmischerin?«
    Wieder schwieg sie einen Augenblick und fuhr dann fort:
    »Man sagt hier, der Verteidiger sei schuld, und ich solle eine Berufung einlegen. Doch man sagt, das sei sehr teuer ... wegen der Kosten ... und der Verteidiger ...«
    »Ja, gewiß,« versetzte Nechludoff; »ich habe mich schon an einen Advocaten gewendet ...«
    »Aber man muß auch einen guten nehmen ... einen teuren ...«
    »Ich werde alles Mögliche thun.«
    Wieder trat eine Pause ein. Das Lächeln der Maslow wurde immer freundlicher.
    »Ich möchte Sie – wenn es Ihnen nicht unangenehm ist – um ein bißchen Geld bitten. Nicht viel ... zehn Rubel – Aber nur, wenn es Ihnen keine Umstände macht ... Ich habe weiter nichts nötig!«
    »Gewiß, gewiß!« versetzte Nechludoff verwirrt und zog seine Brieftasche hervor.
    Die Maslow warf einen schnellen Blick auf den Aufseher, der im Hintergründe des Saales auf- und abspazierte.
    »Warten Sie, bis er den Rücken gedreht hat, sonst würde man mir das Geld fortnehmen!«
    Nechludoff nahm einen Zehnrubelschein aus seiner Brieftasche, doch gerade, als er ihn ihr geben wollte, drehte sich der Aufseher um. Er versteckte den Schein in der Handfläche und dachte, während er dieses blasse und aufgedunsene Geschöpf beobachtete, das mit seinen zu glänzenden Augen abwechselnd die Bewegungen des Aufsehers und die Gesten der die zehn Rubel haltenden Hand beobachtete:
    »Aber das ist ja ein totes Geschöpf!«
    Einen Augenblick war der Unglückliche ganz mutlos. Der Versucher, der in der vorvorigen Nacht zu ihm gesprochen, erhob von neuem in seinem Innern die Stimme, um seine Gedanken von dem, was er thun mußte, abzulenken und sie vielmehr auf die Folgen dessen, was er thun wollte, hinzulenken.
    »Nie wirst du aus diesem Weibe etwas machen,« sagte der Versucher, »du wirst dir nur einen Stein um den Hals legen, der dich ersäufen und dich hindern wird, andern nützlich zu werden! Ihr Geld geben, das ist recht! Alles Geld, das du in deiner Brieftasche hast! Dann aber sag' ihr Lebewohl und mach' ein Ende!«
    Doch sofort fühlte Nechludoff, daß sich in dieser nämlichen Minute eine entscheidende Krisis in ihm vollzog, daß seine Seele sich am Trennpunkte zweier Wege befand, und er, wenn er den einen gewählt, nie mehr auf den andern zurückkehren konnte. Er fühlte, daß er in diesem Augenblick an einem Wendepunkt seines ganzen Lebens angelangt war, und diesen Wendepunkt überschritt er, nachdem er den Gott zu Hilfe gerufen, dessen Anwesenheit er in seinem Herzen am vorvorigen Tage so klar und deutlich wahrgenommen hatte.
    Er beschloß, der Maslow alles zu sagen, und zwar sofort:
    »Katuscha! Ich bin hergekommen, um dich um Verzeihung zu bitten! Doch du, du hast mir nicht geantwortet, du hast mir nicht gesagt, ob du mir verzeihst, ob du mir je verzeihen würdest!«
    Doch sie hörte nicht einmal auf ihn und betrachtete abwechselnd die zehn Rubel und den Aufseher. Als dieser sich umdrehte, streckte sie schnell die Hand aus, ergriff den Schein und versteckte ihn in ihrem Gürtel.
    »Was Sie mir da sagen, klingt recht seltsam,« fuhr sie dann mit einem Lächeln fort, von dem sich Rechludoff angewidert fühlte.
    Er hatte den Eindruck, es schlummere in ihr hinter diesem Lächeln etwas wie Haß gegen ihn, das ihn stets hindern würde, tiefer in ihre Seele einzudringen.
    Doch diese Empfindung lenkte ihn, ohne daß er wußte, wie es geschah, nicht nur nicht mehr von der Maslow ab, nein, sie verband ihn nur noch inniger mit ihr. Er fühlte, er hatte die Pflicht, diese Seele, trotz allem, aufzuwecken; diese Aufgabe war furchtbar schwierig, aber diese Schwierigkeit lockte ihn sogar noch mehr. Er empfand der Maslow gegenüber ein Gefühl, das er bis dahin bei niemandem empfunden, er wünschte an ihr für sich nichts; er wünschte nur, sie möge aufhören, so zu sein, wie sie jetzt war, und wieder so werden, wie sie einst gewesen.
    »Katuscha, warum sprichst du so zu mir? Du weißt doch, ich kenne dich; ich weiß, wie du früher in Panofko warst ...«
    »Das Alte verschwindet,« versetzte sie trocken.
    »Ich erinnere mich an alles, um meine Schuld gutzumachen und zu sühnen,« erklärte Rechludoff.
    Er wollte ihr sagen, er sei bereit, sie zu heiraten; doch er richtete die Augen auf sie und las in ihnen etwas so Gemeines und Abstoßendes, daß er

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