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Auferstehung 2. Band (German Edition)

Auferstehung 2. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 2. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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flößte Nechludoff Furcht ein, und er ging direkt nach Mentschoffs Zelle.
    Der Aufseher öffnete die doppelt verschlossene Thür, und Nechludoff bemerkte einen muskulösen jungen Mann, mit langem Halse, kleinem Knebelbart und gutmütigen, runden Augen, der an seinem Lager stand und mit erschrockener Miene schnell seine Jacke anzog.
    »Hier ist ein Herr, der dich wegen deiner Sache fragen will,« sagte der Unterdirektor zu ihm.
    »Ja, man hat mir von Ihnen gesprochen,« sagte Nechludoff, indem er in das Zimmer trat und sich an das Gitterfenster stellte. »Ich möchte aus Ihrem eigenen Munde den Bericht über das Vorgefallene hören.«
    Mentschoff näherte sich ebenfalls dem Fenster und begann sofort seine Erzählung. Er sprach zuerst schüchtern, indem er unruhige Blicke auf den Unterdirektor warf; doch nach und nach wurde er mutiger, und als der Unterdirektor seine Zelle verließ, verschwand seine Schüchternheit ganz und gar. Er hatte die Sprache und Manieren eines ehrlichen und einfachen Bauern, und Nechludoff empfand ein seltsames Gefühl, als er diesen braven kleinen Muschik in Sträflingskleidern in einer düsteren Zelle sah. Der Gefangene erzählte, daß ihm der Schenkwirt seines Dorfes gleich nach seiner Heirat seine Frau geraubt hatte. Er hatte sich überall hingewendet, um Genugthuung zu erlangen, doch überall hatte der Schenkwirt die Behörden bestochen und war straflos ausgegangen. Eines Tages hatte Mentschoff seine Frau mit Gewalt nach Hause zurückgebracht, doch schon am nächsten Tage war sie ausgerückt. Nun war er wieder zu dem Schenkwirt gegangen und hatte seine Frau verlangt. Der Schenkwirt hatte ihm geantwortet, seine Frau wäre nicht bei ihm, und ihn dann fortgewiesen; er war aber nicht gegangen, und nun hatte ihn der Wirt mit Hilfe eines Arbeiters blutig geschlagen. Am nächsten Morgen hatte die Scheune des Wirtes Feuer gefangen, und man hatte Mentschoff und seine Mutter angeklagt. Doch Mentschoff hatte das Feuer nicht angelegt, denn er war an diesem Tage bei einem Freunde.
    »Ist das auch wirklich wahr, daß du das Feuer nicht angelegt hast!«
    »Ich habe nicht einmal daran gedacht, Ew. Excellenz; sicher hat der Hallunke das Feuer selbst angelegt. Man hat behauptet, er hätte seine Scheune versichert, und dabei hat man meine Mutter und mich angeklagt, wir hätten ihn mit der Brandstiftung bedroht. Allerdings habe ich ihn an dem Tage, an dem ich meine Frau zurückverlangte, geschimpft und bedroht, doch das Feuer habe ich nicht angelegt. Er hat es selbst gethan und uns nachher beschuldigt.«
    »Ist das wahr?«
    »So wahr ich vor Gott spreche, Excellenz. Haben Sie Mitleid mit mir,« sagte er und versuchte dabei, vor Nechludoff niederzuknieen, »hindern Sie es, daß ich ohne Grund umkomme.«
    Von neuem zitterten seine Lippen, er fing an zu weinen und trocknete sich dann mit dem Aermel seines schmutzigen Hemdes die Augen.
    »Sind Sie fertig?« fragte der Unterdirektor.
    »Ja,« erwiderte Nechludoff, wandte sich dann zu Mentschoff und sagte:
    »Na, verzweifle nicht, wir werden alles Mögliche thun.«
    Mentschoff stand beim Eingang, so daß der Aufseher, als er die Thür schloß, ihn ins Innere zurückstoßen mußte; doch bis die Thür sich vollständig geschlossen hatte, blickte der Unglückliche noch immer durch den Spalt.
     
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    Der Unterdirektor ließ Nechludoff von neuem durch den großen Korridor gehen. Es war die Stunde des Mittagsmahles, und alle Saalthüren waren geöffnet. Aus einem der Säle kamen, als er vorüberging, mehrere Gefangene und stellten sich mit tiefen Verneigungen vor ihm auf.
    »Wir flehen Sie an, Excellenz, sorgen Sie dafür, daß man etwas für uns thut.«
    »Ich gehöre nicht zur Verwaltung, ihr irrt euch, ich kann nichts für euch thun.«
    »Gleichviel,« versetzte eine unzufriedene Stimme, »Sie können mit einem von der Verwaltung über uns sprechen. Wir haben nichts verbrochen und seit zwei Monaten behält man uns hier.«
    »Wieso, weshalb?« fragte Nechludoff.
    »Man hat uns ins Gefängnis gesteckt, seit zwei Monaten sind wir hier und wissen selbst nicht, warum.«
    »Das ist wahr, aber die Sache ist rein zufällig,« sagte der Unterdirektor. »Man hat alle diese Leute verhaftet, weil ihnen die Pässe fehlten, und sie sollten in ihre Gouvernements zurückgeschickt werden; doch dort ist das Gefängnis abgebrannt, und deshalb hat man uns gebeten, sie nicht fortzuschicken. Die von den andern Gouvernements sind fortgeschickt worden, doch diese hier mußten wir

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