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Auferstehung 2. Band (German Edition)

Auferstehung 2. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 2. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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daß sie Lärm gemacht hat.«
    »Nun, und?«
    »Infolgedessen hat man sie bestrafen müssen und in einen andern Saal überführt. Sie ist übrigens gewöhnlich eine ruhige Gefangene; doch ich bitte Sie, geben Sie ihr kein Geld mehr in die Hand! Wenn Sie diese Sorte so wie ich kennen würden!«
    »Aber könnte ich vielleicht die Bogoduschoffska von der politischen Abteilung sprechen?«
    »Gewiß!«
    Der Direktor nahm sein kleines Mädchen beim Arm, schob es sacht hinaus und stand auf, um Nechludoff nach dem Gefängnis zu führen.
    Er hatte noch nicht seinen Mantel im Vorflur angezogen, als sich schon wieder die Rouladen Clementis hören ließen.
    »Sie war im Conservatorium; aber es haben Unruhen stattgefunden, und man hat einzelne Schüler entlassen!« sagte der Direktor, während sie die Treppe hinuntergingen. »Sie hat Anlage und möchte in den Konzerten spielen!«
    Nechludoff und der Direktor wandten sich dem Bureau zu. In dem Korridor kamen ihnen vier Sträflinge mit Eimern in den Händen entgegen, und Nechludoff sah, wie sie zitterten, als sie den Direktor bemerkten. Namentlich einer von ihnen senkte den Kopf und machte ein böses Gesicht, während es in seinen schwarzen Augen aufleuchtete.
    »Gewiß muß das Talent ermutigt werden, und man hat kein Recht, es zu beeinträchtigen; doch in einer kleinen Wohnung, wie der unsrigen, ist dieses Klavier, das nie aufhört, oft störend,« fuhr der Direktor fort, ohne auf seine Gefangenen zu achten, während er Nechludoff in den großen Saal führte.
    »Wie heißt die Gefangene, die Sie sprechen wollen?«
    »Bogoduschoffska!«
    »Sie ist im andern Gebäude bei den Politischen. Sie müssen schon ein bißchen warten. Ich werde sie holen lassen.«
    »Könnte ich nicht inzwischen den Gefangenen Mentschoff sprechen, der wegen Brandstiftung verurteilt ist?«
    »Er sitzt in seiner Zelle. Wollen Sie ihn dort sprechen?«
    »Gewiß, das wird mich interessieren!«
    »O, daran ist gar nichts Interessantes!«
    In diesem Augenblicke trat der elegante Unterdirektor in den Saal.
    »Führen Sie den Fürsten in Mentschoffs Zelle,« sagte sein Chef zu ihm, »und dann ins Bureau zurück. Ich werde inzwischen die Bogoduschoffska holen lassen.«
    »Wollen Sie mir gefälligst folgen?« sagte der Unterdirektor mit liebenswürdigem Lächeln zu Nechludoff. »Sie interessieren sich für unser Gebäude?«
    »Ja, vor allem aber interessiere ich mich für diesen Mentschoff, der an dem Verbrechen, dessen man ihn angeklagt hat, unschuldig sein soll.«
    Der andere zuckte die Achseln und erwiderte ruhig, nachdem er Nechludoff aus Höflichkeit in einem stinkenden Korridor hatte vorangehen lassen, »Aber sie lügen auch oft ... Bitte, nach Ihnen!«
    Er ließ Nechludoff den ganzen großen Korridor durchschreiten und führte ihn durch eine eiserne Thür in einen zweiten, noch engeren, noch finsteren Gang, in dem es noch entsetzlicher stank.
    Auf diesen Korridor führten zu beiden Seiten mit kleinen Guckfenstern versehene verschlossene Thüren. Dieser zweite Korridor war leer; nur ein alter Aufseher mit mürrischem und traurigem Gesicht ging darin auf und ab.
    »Mentschoff? In welcher Zelle?«
    »Zelle acht links!«
    »Und alle diese Zellen sind bewohnt?« fragte Nechludoff.
    »Alle, bis auf eine!«
     
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    Nechludoff näherte sich einer der Thüren und fragte seinen Gefährten:
    »Darf ich hineinsehen?«
    »Wie Sie wollen,« versetzte dieser mit seinem liebenswürdigen Lächeln und fing an, mit dem Aufseher zu plaudern.
    Nechludoff zog den Deckel von dem Schiebefenster und blickte hinein. In der Zelle saß ein junger Mann von hoher Gestalt, der nur mit einem Hemde bekleidet war und hastig auf und ab ging. Als er Geräusch hörte, warf er einen Blick auf die Thür, zog die Stirn kraus und nahm seine Wanderung dann wieder auf.
    Nechludoff blieb vor einer andern Zelle stehen, wo sein Blick dem seltsamen und beunruhigenden Blick eines großen schwarzen Auges begegnete. Schnell schloß er den Deckel wieder. In einer dritten Zelle sah er einen Mann, der mit bedecktem Kopfe zusammengekauert auf einem Bette schlief. In der folgenden Zelle saß ein Mann mit gesenktem Kopfe, die Ellenbogen auf die Kniee gestützt. Als er hörte, wie das Schiebefenster sich öffnete, hob der Mann den Kopf und drehte ihn mechanisch nach der Thür; doch sein ganzes blasses Gesicht und seine tiefliegenden hohlen Augen zeigten zur Genüge, daß es ihn wenig kümmerte, wer in seine Zelle sah.
    Der Anblick dieses verzweifelten Gesichts

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