Auferstehung 2. Band (German Edition)
behalten.«
»Ist es möglich?« fragte sich Nechludoff, näherte sich der Thür und warf einen Blick in den Saal.
Eine Gruppe von etwa vierzig Männern, sämtlich in Gefängniskleidung, umstanden Nechludoff und den Unterdirektor. Mehrere erhoben gleichzeitig die Stimme, bis einer von ihnen, ein schon grauhaariger, kräftiger Bauer, das Wort ergriff, um im Namen seiner Gefährten zu sprechen. Er erklärte, man hätte sie ins Gefängnis gebracht, weil sie keine Pässe hätten. Sie hätten zwar Pässe, aber diese wären seit vierzehn Tagen abgelaufen.
»Wir sind alle Steinsetzer und gehören demselben Zuge an,« meinte er. »Wir wollten alle hier zusammen arbeiten, und man sagt uns, in unserm Gouvernement wäre das Gefängnis abgebrannt. Wir sind aber nicht schuld daran, wir haben es nicht angesteckt; um Gotteswillen, thun Sie etwas für uns.«
Nechludoff hörte diese Rede etwas zerstreut an, denn seine Aufmerksamkeit wurde unwillkürlich von einer ungeheuren großen Laus abgelenkt, die dem braven Steinsetzer aus den Haaren kroch und ihm über die Wangen lief.
»Ist es möglich?« sagte Nechludoff von neuem zu dem Unterdirektor.
»Was wollen Sie, das Gesetz befiehlt es einmal, sie in ihr Gouvernement zurückzuschicken.«
Der Unterdirektor hatte kaum ausgeredet, als ein kleiner Mann aus der Gruppe trat, das Wort ergriff, um sich bitter darüber zu beklagen, wie die Aufseher sie ohne Grund quälten.
»Aber man behandelt uns schlechter, als die Hunde,« erklärte er.
»Na, na, ihr dürft unsere Nachsicht aber auch nicht mißbrauchen,« sagte der Unterdirektor; »schweig', sonst weißt du ...«
»Was soll ich wissen?« versetzte der kleine Mann verzweifelt; »haben wir das verdient?«
»Ruhe!« rief ein Aufseher, und der kleine Mann schwieg.
»Ist es möglich?« sagte sich Nechludoff, während er weiter über den Korridor schritt.
»Aber es sollte nicht gestattet sein, Unschuldige im Gefängnis zu behalten,« sagte er zu seinem Gefährten, als sie den Korridor verlassen hatten.
»Was wollen Sie dagegen thun? ... und dann lügen diese Leute auch sehr viel; wenn man sie hört, sind sie alle unschuldig.«
»Aber diese hier sind doch wirklich unschuldig!«
»Nun, nehmen wir das bei diesen hier an, aber es ist eine ganz verrohte Sorte, ohne Strenge richtet man bei ihnen nichts aus. Wir haben hier schreckliche Taugenichtse, die sich gern auf uns stürzen möchten. So hat man gestern zwei bestrafen müssen ...«
»Was nennen Sie »bestrafen«?«
»Man hat sie auf höheren Befehl gepeitscht.«
»Ich glaubte, die körperlichen Züchtigungen wären verboten.«
»Nicht bei den Gefangenen, denen man die Ehrenrechte genommen hat, bei diesen hat man sie nicht unterdrückt.«
Nechludoff erinnerte sich jetzt an die Scene, der er am vorigen Tage in dem großen Saale beigewohnt, und begriff, daß man, während er auf den Inspektor wartete, die Bestrafung vorgenommen. Ohne weiter auf den Unterdirektor zu hören oder sich nach ihm umzusehen, eilte er nach dem Bureau. Der Direktor befand sich dort, doch er war so beschäftigt gewesen, daß er ganz vergessen hatte, die Bogoduschoffska rufen zu lassen. Erst als er Nechludoff eintreten sah, erinnerte er sich seines Versprechens und sagte:
»Bitte tausendmal um Entschuldigung, werde die Gefangene gleich holen lassen, setzen Sie sich inzwischen ein wenig.«
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Das Bureau bestand aus zwei Zimmern, von denen das erste sein Licht durch zwei schmutzige Fenster erhielt. Dieses erste Zimmer war fast leer, nur einige Aufseher befanden sich darin. In dem zweiten größeren Zimmer befanden sich etwa zwanzig Personen beiderlei Geschlechts, die in getrennten Gruppen auf Bänken an der Wand saßen und sich mit leiser Stimme unterhielten. An einem der beiden Fenster in der Ecke stand ein Tisch, und an diesem saß der Direktor, als Nechludoff eintrat. Er ließ ihn einen Augenblick Platz nehmen und begab sich in das andere Zimmer, um den Befehl zu geben, die Bogoduschoffska zu rufen. Seine Aufmerksamkeit wurde zuerst von einem jungen Manne im Jacketanzug erregt, der vor zwei auf der Bank sitzenden Personen, einem jungen Mädchen und einem Gefangenen, stand. Etwas weiter sah Nechludoff einen Greis mit blauer Brille, der eine junge Gefangene bei der Hand hielt und eifrig auf das hörte, was sie zu ihm sagte. Ein kleiner Junge mit nachdenklichem und furchtsamem Gesicht stand bei dem Greise und verließ ihn nicht mit den Augen. In einem Winkel hinter ihnen unterhielten sich zwei
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