Auferstehung 2. Band (German Edition)
ihre eigene Geschichte betraf, so erzählte sie Nechludoff, daß sie sich nach Beendigung ihrer Studien als Hebeamme einer Sektion von »Volksbefreiern« angeschlossen, das »Kapital« von Karl Marx gelesen und den Entschluß gefaßt hatte, sich ganz dem »Fortschritt der Revolution« zu widmen. Zu Anfang war alles gut gegangen, man hatte Proklamationen erlassen und in den Minen Propaganda getrieben, doch eines Tages war eins der Mitglieder der Sektion verhaftet worden, die Polizei hatte bei ihm Papiere gefunden, und die ganze Sektion kam ins Gefängnis.
Nechludoff fragte sie, wer das schöne junge Mädchen wäre. Es war die Tochter eines Generals. Seit langer Zeit der revolutionären Partei angehörend, hatte sie sich schuldig erklärt, einen Revolverschuß auf einen Gensdarmen abgefeuert zu haben. Als die Polizei vor der Wohnung erschienen war, deren sich die Partei zu ihren Beratungen bediente, hatten die anwesenden Mitglieder die Thüre verbarrikadiert, um die dortliegenden Papiere verbrennen oder verstecken zu können. Doch die Polizei hatte die Barrikaden durchbrochen und wollte die Verschwörer verhaften, als einer von ihnen einen Revolverschuß abgefeuert hatte, der einen Gensdarmen tödlich verwundete. Man hatte sofort eine Untersuchung eingeleitet, um den Mörder zu entdecken, und das junge Mädchen hatte die Schuld auf sich genommen; obwohl sie nie einen Revolver in der Hand gehalten, so hatte man doch ihr Geständnis als vollgültig anerkennen müssen. Jetzt war sie zur Zwangsarbeit verurteilt und im Begriff, nach Sibirien abzureisen.
»Eine sehr interessante Persönlichkeit, und in hohem Grade altruistisch,« sagte Wera Efremowna, ihre Erzählung beendend.
Er mußte jetzt noch erfahren, was Wera Efremowna ihm hinsichtlich der Maslow mitzuteilen hatte, und wagte endlich, sie danach zu fragen. Das junge Weib kannte, wie das ganze Gefängnis, die Geschichte der Maslow, und war von dem Interesse unterrichtet, das ihr Nechludoff entgegenbrachte. Sie wollte ihm raten, es doch durchzusetzen, daß sein Schützling zum Krankendienst versetzt wurde, wo man Hilfskräfte brauchte; vom moralischen Standpunkte aus, wie auch von jedem anderen wäre sie dort besser aufgehoben, als in ihrer Abteilung.
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Die Unterredung wurde von dem Direktor unterbrochen, welcher sich erhob und erklärte, die Besuchsstunde wäre vorüber. Nechludoff nahm von Wera Efremowna Abschied, um zu gehen, blieb aber neugierig auf der Thürschwelle stehen. Die Bemerkung des Direktors hatte keine andere Wirkung, als die Unterhaltung lebhafter zu gestalten, ohne daß jemand Miene machte, fortzugehen. Bald aber begann der Abschied, und mit ihm das Schluchzen und die Thränen. Namentlich die Mutter des jungen Schwindsüchtigen schien außer sich zu sein. Ihr Sohn zerknitterte das Blatt Papier noch immer zwischen seinen Fingern, und sein Gesicht nahm fast einen boshaften Ausdruck an. Die Mutter lehnte das Haupt an die Schulter des jungen Mannes und brach wie ein kleines Kind in Thränen aus.
Das schöne junge Mädchen stand vor der betrübten Mutter und sprach noch immer tröstend auf sie ein. Der Greis mit der blauen Brille behielt die Hand des Mädchens in der seinen und nickte zu dem, was sie sagte, mit dem Kopfe. Die beiden Liebenden waren aufgestanden und blieben unbeweglich einander gegenüber stehen, ohne ein Wort zu sprechen.
»Die sind wenigstens glücklich,« sagte der junge Mann im Jacket, der ebenfalls stehengeblieben war und der Scene beiwohnte, zu Nechludoff.
»Sie verheiraten sich hier in der nächsten Woche im Gefängnis, und in einem Monat reist sie mit ihm nach Sibirien ab,« fuhr er fort.
»Und was ist er?«
»Er ist zur Zwangsarbeit verurteilt ... die sind wenigstens heiter, aber das ist zu entsetzlich anzuhören,« fügte der junge Mann hinzu, und machte Nechludoff auf das heftige Schluchzen aufmerksam, das der Greis mit der blauen Brille jetzt ausstieß.
»Vorwärts, meine Herren, ich bitte Sie,« rief jetzt der Direktor, »was soll denn das heißen? Die Stunde ist doch schon längst vorüber. Ich sage es Ihnen nun zum letztenmal,« fügte er nach einer Pause hinzu, stand auf, setzte sich wieder, that einen Zug aus seiner Cigarette, ließ sie ausgehen und steckte sie wieder von neuem an.
Endlich trennten sich Gefangene und Besucher; die einen wandten sich der Hintertür zu, die andern der großen Pforte, die in das Nebenzimmer führte.
»Ja, das sind merkwürdige Scenen,« sagte der junge Mann im Jacket, der
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