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Auferstehung 2. Band (German Edition)

Auferstehung 2. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 2. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Liebende in fröhlichem Tone. Das elegant gekleidete junge Mädchen war eine hübsche Blondine von vornehmem Aussehen, während ihr Geliebter, ein Sträfling, ein schönes Gesicht mit scharfgeschnittenen Zügen hatte. Einige Schritte vom Tisch bemerkte Nechludoff eine schwarzgekleidete Frau in grauen Haaren, augenscheinlich eine Mutter, denn sie betrachtete eifrig einen jungen Schwindsüchtigen, und versuchte, mit ihm zu sprechen, ohne daß es ihr gelang, denn die Thränen erstickten sie. Der junge Mann knitterte und faltete mechanisch ein Blatt Papier zusammen, das er in der Hand hielt, und Nechludoff sah neben ihm ein reizendes junges Mädchen in einem grauen Kleide mit einer Pellerine auf den Schultern. Sie saß neben der weinenden Mutter und bemühte sich, sie zu trösten, indem sie ihr leise den Arm streichelte.
    Während Nechludoff diese verschiedenen Gruppen neugierig betrachtete, näherte sich ihm neugierig der kleine Junge und fragte ihn mit seinem dünnen Stimmchen:
    »Auf wen warten Sie denn?«
    Nechludoff war zuerst über die Frage erstaunt, doch das nachdenkliche Gesicht des Kindes rührte ihn, und mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt erklärte er, er warte auf eine Dame.
     
     
    »Ist das Ihre Schwester?« fragte der Kleine.
    »Nein, meine Schwester ist es nicht, aber mit wem bist du denn hier?«
    »Mit Mama, sie gehört zur politischen Abteilung,« erwiderte das Kind mit offenbarem Stolze.
    »Maria Pawlowna,« rief der Direktor, »rufen Sie Kolja zurück,« und das schöne Mädchen, das zwei Schritte von Nechludoff saß, trat auf sie zu.
    »Er hat Sie jedenfalls gefragt, wer Sie sind,« sagte sie zu Nechludoff mit leisem Lächeln. »Das ist so seine Art, er will immer alles wissen,« fuhr sie fort und lächelte dem Kinde so sanft und zärtlich zu, daß dieses und Nechludoff selbst dieses Lächeln unwillkürlich erwiderten.
    »Ja, er fragte mich, weswegen ich gekommen wäre.«
    »Maria Pawlowna, Sie haben nicht das Recht, mit Fremden zu sprechen, das wissen Sie doch,« sagte der Direktor.
    »Gut, gut,« versetzte sie, nahm Koljas kleine Hand in die ihrige und kehrte zur Mutter des Schwindsüchtigen zurück.
    »Wessen Sohn ist er?« fragte Nechludoff den Direktor.
    »Der Sohn einer politischen Gefangenen, denken Sie sich, er ist im Gefängnis geboren.«
    »Wirklich?«
    »Ja, und jetzt geht er mit seiner Mutter nach Sibirien.«
    »Und das junge Mädchen?«
    »Verzeihen Sie, ich habe nicht das Recht, Ihnen alle diese Fragen zu beantworten; außerdem ist da auch die Bugoduschoffska.«
     
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    Thatsächlich trat die kleine, gelbe, magere Wera Bogoduschoffska mit ihrem behenden Schritt in das Zimmer.
    »Ach, wie gut, daß Sie gekommen sind,« sagte sie und reichte Nechludoff die Hand, »Sie erinnern sich meiner doch noch, setzen Sie sich.«
    »Ich erwartete nicht, Sie hier wiederzusehen.«
    »O, ich befinde mich hier sehr wohl, so daß ich es mir gar nicht besser wünschen kann,« sagte Wera Efremowna.
    Als Nechludoff sie fragte, weshalb man sie ins Gefängnis gebracht, begann sie eine ausführliche Erzählung, in der ihre eigenen Abenteuer viel weniger Platz einnahmen, als die Organisationen und Unternehmungen ihrer »Partei«, und in der die Fremdwörter »Propaganda«, »Organisation«, »Gruppen«, »Sektionen« und »Untersektionen« fortwährend wiederkehrten.
    Nechludoff betrachtete ihren mageren Hals, ihre spärlichen und schlecht gekämmten Haare, ihre großen runden Augen und fragte sich, warum sie ihm das alles erzähle, und sich selbst dafür interessiere. Er beklagte sie, aber in ganz anderer Weise wie den Muschik Mentschoff, der ohne Grund in seine verpestete Zelle eingesperrt war. Er beklagte sie nicht wegen des Schicksals, das sie sich zugezogen, sondern wegen der augenscheinlichen Verwirrung, die in ihrem Kopfe herrschte. Die Unglückliche hielt sich für eine Heldin, und deshalb beklagte er sie am meisten.
    Die Angelegenheit, von der Wera Efremowna ihm erzählen wollte, war ziemlich verwickelt. Eine Kameradin des jungen Mädchens, Namens Tschustoff, war vor fünf Monaten mit ihr verhaftet und eingekerkert worden, obwohl sie keiner »Untersektion« angehörte. Man hatte bei ihr nur Papiere und Bücher gefunden, die ihre Freunde in ihrem Zimmer abgestellt, und Wera Efremowna, die sich zum Teil an dieser Gefangennahme für verantwortlich erachtete, wollte Nechludoff, »der Beziehungen besaß«, bitten, sein Möglichstes zu thun, um die Freilassung der Tschustoff durchzusetzen. Was

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