Auferstehung
das ist einfach herrlich.«
»Leben Sie schon lange hier?«
»Ja, seit dem Krieg. Ich wurde '69
rübergeschickt, kurz bevor die Haschraucher nachgekommen sind und alles
vermasselt haben. Ich hab's nach Hause geschafft, Bernice geheiratet, und dann
haben wir zusammen dieses Nest hier gebaut. Wir hatten zwei Mädchen, Elizabeth
und Nicole. Sie sind beide vor langer Zeit weggezogen. Nicole ist in Richmond
mit einem Tierarzt verheiratet. Beth ist rauf nach Pennsylvania.«
Er trat gegen eine aus dem Boden
ragende Wurzel.
»Ich weiß nicht, ob sie noch am
Leben sind. Vermutlich eher nicht. Wir haben von beiden nichts mehr gehört,
seit all das angefangen hat. Wie auch immer, nachdem die Mädels uns zu
Großeltern gemacht hatten, überraschte mich Bernice mit der Neuigkeit, dass sie
nochmal schwanger war. Ich kann Ihnen sagen, Herr Pfarrer, anfangs hat mir das
eine Heidenangst eingejagt. Immerhin war ich gerade fünfzig geworden und hatte
eigentlich keine Lust, noch ein Kind großzuziehen. Andererseits hatte ich mir
immer einen Sohn gewünscht. Als Jason auf die Welt kam, war ich glücklicher als
ein Schwein in der Suhle. Natürlich hebe ich meine Mädchen, aber Sie wissen,
was ich meine?«
Martin nickte.
»Ihr Sohn ist ein prächtiger
Junge.«
»Ja, das ist er. Und inzwischen
ist er alles, was ich habe. Deshalb kann ich mich so gut in Ihren Kumpel
reinverset-zen. Ist hart, was er durchmacht. Verdammt hart! Ich kann mir gut
vorstellen, was in ihm vorgehen muss.«
»Ich glaube, das könnte jeder
Vater«, pflichtete Martin ihm bei.
»Sagen Sie mir eins, Herr Pfarrer.
Unter uns gesagt, glauben Sie wirklich, es besteht eine Chance, dass der
Junge noch lebt?«
Bevor Martin antworten konnte, raschelte
das Geäst über ihnen. Unvermittelt erhob sich eine riesige Krähe in die Luft
und zerschmetterte die Stille.
»Grundgütiger!« Martin fasste sich
an die Brust. »Einen Augenblick dachte ich, einen Herzanfall zu bekommen.«
Delmas lachte. »Ich habe Ihnen ja
gesagt, dass es hier unten Viecher gibt, die noch leben! Die Einzigen, die hier
jagen, sind Jason und ich. Und der alte John Joe dort drüben.« Er deutete in
die Richtung des Getreidefelds.
»Einer Ihrer Nachbarn?«
»Ein
verrückter alter Zausel, das ist er, obwohl ich vermute, dass er nichts dafür
kann. Seiner Frau ist dasselbe widerfahren wie Bernice. Nur hat John Joe sie
nicht beerdigt wie Jason und ich es mit Bernice gemacht haben.«
»Nicht? Sagen Sie bloß, er hat
versucht, sie ... zu essen ,
»John Joe? Teufel auch, nein! Er
war nicht auf die Art irre wie die Kannibalen, denen Sie über den Weg gelaufen
sind Er konnte sich bloß nicht mit der Tatsache abfinden, dass sie nicht mehr
seine Frau war.«
»Was hat er dann mit ihr gemacht?«
»Naja, er hat sie in den
Hühnerstall gesperrt. Er hat ihr Ketten und Fußfesseln angelegt und den Stall
wie eine kleine Zelle eingerichtet. Und er hat sie gefüttert.«
»Gefüttert?«
»Ja. Mit Huhn. Mit Rindfleisch.
Mit Fischen, die er im Greenbrier fing. Er hat das Zeug gekocht und zu ihr
rein-gestellt, mit einem langen Stock mit Haken, damit er nicht in ihre
Reichweite musste. Sie hat nichts davon angerührt. Dann hat er es mit Gemüse
aus dem Garten versucht. Auch damit wollte sie nichts zu tun haben. Also hat er
das Kochen aufgegeben und sie stattdessen mit rohem Fleisch gefüttert. Das hat
sie gegessen, aber sogar John Joe war klar, dass es nicht normal war, rohes
Fleisch zu essen. Schließlich hat er mich gebeten, mal rüberzukommen und sie
mir anzusehen. Ich glaube, er hat nicht richtig mitbekommen, was mit der Welt
vor sich ging. John Joe war keiner, der regelmäßig Nachrichten schaut.«
»Na, jedenfalls ging ich rüber und
tat ihm den Gefallen. Es war grauenhaft. Sie hatte sich durch einen der eigenen
Knöchel gefressen, um die Fußfesseln loszuwerden. Als ich sie sah, nagte sie
gerade am zweiten. Sie geriet ganz aus dem Häuschen und fing an, wüst zu
fluchen.« Delmas errötete. »Also, ich hatte solche Worte noch nie aus dem Mund
einer Frau gehört, nicht mal von den schlitzäugigen Nutten während des Kriegs.
Schreckliches Zeug. Und sie hat nicht nur unsere Sprache dabei gesprochen.
Damit fing sie an, aber dann ging sie zu einem Kauderwelsch über, das ich noch
nie zuvor gehört hatte. Ich konnte mir überhaupt keinen Reim drauf machen, aber
ich sage Ihnen, es hat grässlich geklungen. Irgendwie hatten die Worte etwas
Böses an sich.«
Martin fingerte an seinem Gewehr
herum.
»Was ist aus ihr
Weitere Kostenlose Bücher